Genitalverstümmelung: 1.900 Frauen in Wien

1.900 Frauen sind in Wien von Genitalverstümmelung betroffen. Die weibliche Beschneidung erfolgt zumeist im Heimatland, manchmal vermutlich aber sogar hier. In Wien gibt es verschiedene Betreuungseinrichtungen und jährlich 32 Operationen.

Die Geschichte von Waris Dirie ging um die Welt. Es ist die Geschichte der Genitalverstümmelung einer Frau, wie sie täglich 8.000 Mal auf der Welt praktiziert wird. Dirie ist fünf Jahre alt als ihr in Somalia die Schamlippen beschnitten und anschließend zugenäht werden. Was bleibt, ist ein kleines Loch für den Toilettengang. Als sie 13 Jahre alt ist, flieht sie vor einer Zwangsheirat nach London. Später wird sie Model, Autorin und UN-Sonderbotschafterin - denn ihre Geschichte ist kein Einzelschicksal.

Waris Dirie

APA/Helmut Fohringer

Waris Dirie

Weltweit müssen laut Weltgesundheitorganisation (WHO) 140 Millionen Mädchen und Frauen mit den Folgen von Genitalverstümmelung leben. Die uralte Praxis ist zwar überwiegend in Afrika verbreitet, wird jedoch in 41 Staaten weltweit praktiziert. Auch hierzulande ist FGM (Femal Genital Mutilation, so die gängige Bezeichnung) schon lange keine Randerscheinung mehr. Durch die Migration wurde sie auch hier zum Thema. In Österreich wird die Zahl der betroffenen Frauen auf 8.000 geschätzt, etwa 1.900 davon leben in Wien.

Weibliche Beschneidungen auch in Wien?

„Jedes Jahr kommen ungefähr 100 neue Mädchen und Frauen zu uns. Die meisten Betroffenen kommen schon beschnitten von Zuhause hierher. Es wird aber davon ausgegangen, dass es auch hier passiert, obwohl es keine Anzeigen gibt. Manchmal erfolgt die Beschneidung auch während eines Heimaturlaubes“, sagt Umyma Eljeledm, Ärztin bei „FEM Süd, Gesundheitszentrum für Frauen, Eltern und Mädchen“.

Unter weiblicher Genitalverstümmelung werden „alle Verfahren, die die teilweise oder vollständige Entfernung der äußeren Genitalien zum Ziel haben, sei es aus kulturellen oder anderen nichttherapeutischen Gründen“ verstanden, so die WHO. Es gibt dabei keine religiöse Vorschrift. Es handelt sich um eine jahrtausendealte Tradition.

„Nur beschnittene Frauen bekommen ‚guten‘ Mann“

Warum auch hier der kulturelle Druck noch so hoch ist, erklärt die Frauengesundheitsbeauftragte der Stadt Wien Beate Wimmer-Puchinger so: „Die Familien aus jenen Regionen mit einer bis heute andauernden FGM-Tradition sind noch so sozialisiert, dass es zum ‚Frausein‘ dazu gehört und daher in ihrem weiblichen, körperlichen Selbstverständnis als normal empfunden wird. Das inkludiert auch das Leiden, das dadurch verursacht wird.“

Weibliche Beschneidung ist in Österreich gesetzlich verboten. Sie erfüllt den Tatbestand schwerer Körperverletzung und gilt als grobe Menschenrechtsverletzung. Eltern werden auch bestraft, wenn die Beschneidung der Tochter auf Heimaturlaub erfolgt.

Die Sudanesin Eljeledm ergänzt: „Es herrscht der Gedanke vor, dass nur beschnittene Frauen einen ‚guten‘ Mann bekommen, weil die Beschneidung Reinheit symbolisiert. Die Mütter wollen ihren Töchtern etwas Gutes tun. Die Mädchen werden sonst verachtet.“

„Ein wichtiges Thema ist für uns daher, über die massiven und langfristigen negativen gesundheitlichen Folgen aufzuklären“, sagt Wimmer-Puchinger. Diese reichen von sexuellen Funktionsstörungen, häufigen Infektionen, Komplikationen bei Geburten, bis hin zu schweren, lebenslangen psychischen Traumen.

Sensibilisierung für Gesundheitspersonal

In Wien gibt es verschiedene Betreuungsprogramme. Es gibt Beratungsgespräche auf verschiedenen Sprachen mit Betroffenen, sowie Aufklärungsarbeit bei den Eltern und präventive Workshops mit Mädchen, so Eljeledm. Das Thema wird jedoch stark tabuisiert. Die Betroffenen wenden sich daher kaum von alleine an die entsprechenden Einrichtungen. „Wir sind deswegen nicht nur in unserem Zentrum aktiv, sondern gehen beispielsweise regelmäßig in Einrichtungen für Asylwerberinnen. So erfahren die Frauen von uns und sehen, dass ihnen hier geholfen werden kann“, so Eljeledm.

Arzt hält Stethoskop in den Händen

APA/DPA/Patrick Pleul

Besonders Gesundheitspersonal wird speziell geschult

Auch jene Berufsgruppen, die am meisten mit Betroffenen in Kontakt kommen, sollen den sensiblen Umgang mit den Patientinnen lernen. „Wir haben dafür in Wien ein umfassendes Maßnahmenpaket entwickelt. Es umfasst die Sensibilisierung und Aufklärung aller geburtshilflichen Abteilungen, Schulungen mit Kindergartenpädagoginnen und Schulärztinnen, sowie Info-Broschüren für Ärzte und Ärztinnen. Ein regelmäßiges Expertenforum berät laufend Maßnahmen und Strategien“, so Wimmer-Puchinger.

32 Operationen pro Jahr in Wien

Neben den Workshops, Beratungen und der Aufklärungsarbeit zählen medizinische Untersuchungen und Operationen zu den wesentlichen Betreuungsprogrammen in Wien. Seit 2010 hat die Krankenanstalt Rudolfstiftung eine entsprechende Ambulanz dafür. Es besteht eine enge Zusammenarbeit mit „FEM Süd“, wo die Frauen betreut werden.

Eljeledm: „Jedes Jahr werden etwa zwölf Operationen in der Rudolfstiftung durchgeführt. Ich bin auch während der OP anwesend, damit die Patientinnen keine Angst haben. Auch danach wird unsere Unterstützung fortgesetzt.“ Im AKH gibt es ebenfalls eine spezialisierte Station, wo jährlich 20 Operationen durchgeführt werden. „Diese Operationen sind wichtig, weil die Patientinnen unter täglichen Schmerzen leiden. Natürlich kann nie wieder der ursprüngliche Zustand erreicht werden. Aber die Patientinnen können dann zumindest ein schmerzfreies Leben führen.“

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