Der Ring als „jüdischer Boulevard“

Zum 150-Jahr-Jubiläum zeigt das Jüdische Museum die Ringstraße als „jüdischen Boulevard“. Die Besucher erwarten Einblicke in die vielfach bis heute erhaltenen Palais des Großbürgertums ebenso wie die teils tragischen Geschichten namhafter Familien.

Um öffentliche Gebäude wie Rathaus, Parlament oder die beiden Museen im Zuge des stadtplanerischen Mammutprojekts finanzieren zu können, veräußerte das Kaiserhaus zahlreiche teure Grundstücksparzellen entlang des gerade entstehenden Rings. Die wohlhabende jüdische Elite habe hier große Kaufbereitschaft gezeigt, da sie sich Akzeptanz von bzw. Gleichstellung mit dem nicht-jüdischen Großbürgertum erhoffte, erklärte Museumsdirektorin Danielle Spera bei einer Presseführung: „Obwohl es viele der prachtvollen Palais bis heute gibt, erinnert sich kaum jemand an ihre Geschichte.“ Ein Umstand, den die Ausstellung ändern soll.

Ringstraße

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Palais Todesco, Kärntner Straße 51, um 1880

Gleich zu Beginn der - bewusst ringförmig angelegten - Schau „Ringstraße. Ein jüdischer Boulevard“, die ab Mittwoch und bis zum 4. Oktober läuft, kann man sich auf dem affichierten großen Stadtplan einen Überblick über die Ring-Gebäude mit jüdischem Konnex verschaffen. Im Uhrzeigersinn geht es dann - vorbei an Gemäldeporträts der Bauherren und an Artefakten, die vom Aufstieg der jüdischen Fabrikanten und Bankiers erzählen - in einige Räume, die das Innenleben der Prachtbauten veranschaulichen sollen.

Auch Schattenseiten beleuchtet

Möbelexponate, Ausstattungsentwürfe und eine erhaltene Puppenstube zeugen von der prunkvollen Einrichtung etwa des - neben der Staatsoper gelegenen - Palais Todesco. Gästebücher und Bilder erinnern an die Salongepflogenheiten, die neben Dichterlesungen und Konzerten auch „lebende Bilder“, also die möglichst getreue Nachstellung von Kunstwerken, umfassten.

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Puppenstube aus dem Palais Todesco

Beleuchtet werden dabei aber auch Schattenseiten des damaligen sozialen Lebens: Einerseits zerbrachen viele großbürgerliche Frauen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend aus dem Geschäftsleben hinaus in die häusliche Untätigkeit gedrängt wurden, im „goldenen Käfig“ und flohen gewissermaßen in die Krankheit, wie Hauptkuratorin Gabriele Kohlbauer-Fritz erklärte.

Anschaulich wird das etwa an der Biografie von Helene Auspitz, die ihre letzten Lebensjahrzehnte in einem Schweizer Sanatorium verbrachte. Andererseits betraf die in Wien herrschende Wohnungsnot und Armut auch viele zugewanderte Juden. Da sie von der öffentlichen Armenpflege ausgeschlossen waren, sprangen reiche Juden mit wohltätigen Zuwendungen ein. Zahlreiche Bittbriefe bedürftiger Mitbürger dokumentieren dies.

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Das Palais Lieben bildet mit dem Palais Ephrussi eine architektonische Einheit, Mölker Bastei 5, um 1875

Ausstellungshinweis:

„Ringstraße. Ein jüdischer Boulevard“ im Jüdischen Museum Wien, 1., Dorotheergasse 11; 25.März bis 4. Oktober.

Vertreibung durch Nazis

Gegen Ende des Rundgangs werden die Besucher unvermeidlich mit der Machtübernahme durch die Nazis 1938 und der damit verbundenen materiellen Enteignung bzw. der Vertreibung der jüdischen Ringstraßenbewohner konfrontiert. Vor der schwarz-weiß-flimmernden Leinwand, auf der der Einzug Hitlers und seiner Truppen auf dem Ring zu sehen ist, werden die tragischen Schicksale anhand einzelner Objekte greifbar gemacht.

Ein solches trauriges Symbol ist etwa eine Mokkatasse aus dem damaligen Hotel Metropole am Schwedenplatz, das zum Gestapo-Hauptquartier umfunktioniert und nach dem Zweiten Weltkrieg - bereits schwerbeschädigt - endgültig abgerissen wurde. Robert Feix, Hauptaktionär der Luxusherberge, wurde nach Dachau deportiert und überlebte. Die Kaffeetasse aus seinem Hotel bewahrte er sein ganzes Leben lang auf. Mit dem restlichen Inventar statteten die Nazis die sogenannten Lebensborn-Heime aus.

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