Ärztekammer arbeitet NS-Vergangenheit auf

Die Wiener Ärztekammer setzt sich mit einem Forschungsprojekt mit der Rolle der Ärzte in der NS-Zeit auseinander. Man habe sich in der Vergangenheit schwer damit getan, der „Wahrheit ins Auge zu sehen“, so Präsident Thomas Szekeres in einer Aussendung.

1938 seien in Wien an die 5.000 Ärzte tätig gewesen, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs habe es gerade noch 450 gegeben, hieß es in der Aussendung am Donnerstag. „Das war die Folge einer beispiellosen Vertreibung und Vernichtung jüdischer und anderweitig ‚missliebiger‘ Kolleginnen und Kollegen sowie natürlich auch am Schlachtfeld gefallener Kollegen“, wird Szekeres zitiert.

Neben den furchtbaren Ereignissen, bei denen die Ärzte sowohl Täter als auch Opfer gewesen seien, hätten auch die „zögerliche Aufarbeitung danach“ die Medizin in Österreich geprägt, so Szekeres weiter.

Aufdecker als „Nestbeschmutzer“

Szekeres würdigte die Arbeit der Mediziner Ernst Berger, Gerhard Hochwarter, Hermann Pleiger, Ferdinand Sator, Franz Sellner sowie Werner Vogt. Sie hätten in der Vergangenheit mitgeholfen, Missstände und Verfehlungen einzelner Ärzte, auch in der NS-Zeit, aufzudecken. Im Vorjahr erhielten sie dafür das Goldene Ehrenzeichen der Wiener Ärztekammer - doch noch vor einigen Jahren habe man sie als „Aufrührer" und Nestbeschmutzer“ bezeichnet.

Als prominentesten Fall bezeichnete Szekeres dabei Heinrich Gross. Denn das Oberlandesgericht Wien habe bereits 1981 in einem von Gross angestrengten Verleumdungsprozess dessen persönliche Beteiligung an der Kinder-„Euthanasie“ in der Klinik „Am Spiegelgrund“ als gegeben angesehen. Dennoch habe er auch in Ärztekreisen zeitlebens hohes Ansehen genossen. „Mit der entsprechenden Distanz zu Gross tat sich die Ärztekammer stets sehr schwer“, hieß es wörtlich in der Aussendung der Kammer vom Donnerstag.

Gedenkbuch für 2017 angekündigt

Die Wiener Ärztekammer ist derzeit an dem Forschungsprojekt „Ärzte und Ärztinnen in Österreich 1938-1945. Entrechtung, Vertreibung, Ermordung“ beteiligt, das sich der Geschichte der in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgten österreichischen Ärzteschaft widmet. Derzeit gebe es nur wenige Publikationen dazu, und diese ließen viele Fragen noch unbearbeitet. So fehlt etwa die Klärung der konkreten rechtlichen Grundlage der Entrechtung und Verfolgung.

Im Forschungsprojekt sollen alle Ärzte erfasst werden, denen die Approbation entzogen wurde, sei es aus „rassischen“, politischen oder sonstigen NS-spezifischen Gründen. Verantwortlich zeichnet das Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien durchgeführten Projekts. Für 2017 stellt die Wiener Ärztekammer dann ein repräsentatives Gedenkbuch im hauseigenen Verlag in Aussicht, das 800 Seiten stark werden soll.