Alijew-Prozess: Angeklagte aus U-Haft entlassen

Paukenschlag im Alijew-Prozess: Die beiden Angeklagten Alnur Mussajew und Wadim Koschljak werden wegen „widersprüchlicher Angaben aus Kasachstan“ aus der U-Haft entlassen. Ihre Verteidiger üben Kritik an der Staatsanwaltschaft

„Ich bin sehr, sehr glücklich“, sagte der frühere Assistent Alijews, Vadim Koshljak, nach dem Ende der Verhandlung. Seine Familie nahm den seit Juni 2014 in U-Haft Gesessenen in Empfang. Selbst für seinen Verteidiger, Walter Engler, kam die Enthaftung dann doch überraschend: „Wir haben schon Sorgen gehabt, dass das hier möglicherweise doch nicht ausreichen wird.“

Auch wiederholte Engler seine Kritik an der Staatsanwaltschaft. Die Beweise - die „notgedrungen“ alle aus Kasachstan kamen - seien hauptsächlich belastend für die Angeklagten gewesen. Die Staatsanwaltschaft sei aber auch dazu verpflichtet, hier „entlastende Beweise zu suchen und sie zu präsentieren“, konstatierte er.

Die Staatsanwaltschaft reichte gegen die Enthaftung der beiden Angeklagten Beschwerde ein. Bis das Oberlandesgericht diesbezüglich eine Entscheidung trifft, bleiben Koshljak und Mussajew, auf freiem Fuß. Zuversichtlich zeigte sich der Verteidiger Mussayevs, Martin Mahrer: „Der Prozess wird weitergehen, wir sind sehr zuversichtlich und es wird einen Freispruch geben.“

Unterschiedliche Auskünfte ausschlaggebend

Ausschlaggebend für die Entlassung aus der U-Haft waren unterschiedliche Auskünfte seitens der kasachischen Justiz über die Rechtskraft von Urteilen gegen die Angeklagten Mussajew sowie Alijews Sicherheitsberater Koschljak. Beide wurden im Jahr 2008 in Abwesenheit von einem Militärgericht zu langjährigen Haftstrafen verurteilt - mehr dazu in Chronologie: Der Fall Alijew.

Kurz vor der Mittagspause legte der Verteidiger Koschljaks dann einen Auszug aus einem Rechtshilfeersuchen Österreichs an Kasachstan vor, in dem die Urteile im Fall Alijew als rechtskräftig bestätigt werden. Doch nach Angaben von Richter Andreas Böhm hatte die kasachische Justiz erst vergangene Woche dem Gericht in Österreich bezüglich der Rechtskraft genau das Gegenteil mitgeteilt. Das hatte er am Dienstag verlesen.

U-Haft „nicht mehr haltbar“

Staatsanwalt Markus Berghammer kritisierte nach der Mittagspause und einer kurzen Beratung, dass bei dem von der Verteidigung vorgebrachten Dokument - bei dem es sich laut Richter Böhm offenbar um einen „Strafregisterauszug“ handelte - nicht zu erkennen sei, von „wem und wann“ dieser Eintrag getätigt wurde.

Nach einer mehrminütigen Besprechung des Dreirichtersenats gab Richter Böhm bekannt, dass trotz der Einwände die U-Haft so nicht mehr haltbar sei. In seiner Begründung für die Entlassung Mussajews und Koschljaks betonte er auch, dass die Anklageschrift „nahezu ausschließlich“ auf Informationen kasachischer Behörden beruht.

Offene Fragen bei Leichenfund

Entscheidend für den Beschluss am Mittwoch seien auch die Ausführungen des Gerichtsmediziners Daniele Risser, führte Böhm fort. Der Gutachter habe festgestellt, dass die Leiche der beiden Banker, Zholdas Timralijew und Aibar Chasenow, so konserviert gewesen seien, als ob die Täter erreichen wollten, dass sie gefunden und identifiziert werden.

Böhm wunderte sich zudem über die häufigen Aussagenänderungen der Zeugen sowohl vor als auch in dem Verfahren: „Zeugen haben plötzlich mehrere Aussagen geändert.“ So waren die Aussagen des ehemaligen Mitarbeiters der Nurbank, Nurlan Barakbajew, von mehreren Widersprüchen geprägt gewesen. Falschaussagen habe es in diesem Verfahren schon einmal gegeben, hob der Richter hervor.

Richter glaubt an Einfluss aus Kasachstan

Böhm äußerte auch vorsichtig die Vermutung, dass das Ganze eventuell von Kasachstan gesteuert werden könnte. So habe die Witwe Timralijews, Armagul Kapaschewa, angegeben, dass die Summe in Höhe von zehn Millionen Euro für den Opferverein „Tagdyr“ unter anderem auch von Geschäftsleuten mitfinanziert wurde, die sie namentlich nicht nennen wollte - mehr dazu in Alijew-Prozess: Opferwitwe in Wien (wien.ORF.at; 28.4.2015).

Daraufhin reichte Gerald Ganzger von der Anwaltskanzlei Lansky, Ganzger und Partner (LGP), die für „Tagdyr“ die Witwen der getöteten Banker vertritt, einen Antrag auf Ablehnung wegen Befangenheit der Richter ein. Auch seien „mehrere Themen in die Entscheidung eingeflossen“, die mit der Tat so nichts zu tun hätten. Nach einer Besprechung des Richtersenats wies Böhm den Antrag Gangzers ab und hielt fest: „Zusammengefasst: Der Dreirichtersenat geht nicht mehr von einem dringenden Tatverdacht aus.“

Ganzger kritisierte gegenüber der APA den Vorsitzenden Richter. Ihm warf der Privatbeteiligte vor, manche Zeugen „unter Generalverdacht“ gestellt zu haben. Auch ortete Ganzger ein „kulturelles Problem“ bei der Zeugeneinvernahme: „Menschen aus Kasachstan, die in einem anderen Kulturkreis leben, und wenn sie dann nach Österreich kommen, sehr befangen sind vor Gericht“.

Angeklagte bekennen sich nicht schuldig

Nach dem Tod von Alijew war sein ehemaliger Sicherheitschef der eigentliche Hauptangeklagte. Der 42-Jährige erklärte sich bei seiner Einvernahme am 17. April nicht schuldig und sagte, dass er von Entführungen nichts mitbekommen habe.

Er wisse nichts davon, dass im Jahr 2007 die Opfer in Saunaräumen in Almaty mit Handschellen gefesselt worden sein sollen, wie es in der Anklage steht - mehr dazu in Alijew-Prozess: Angeklagter will nichts wissen (wien.ORF.at; 17.4.2015). Auch der zweite Angeklagte erklärte sich für unschuldig, er sagte, dass die Aussagen gegen ihn „gefälscht“ seien - mehr dazu in Alijew-Prozess: „Aussagen gefälscht“ (wien.ORF.at; 15.4.2015).

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