Flüchtlinge: Fußball gegen Langeweile

Über 270 minderjährige Flüchtlinge wohnen derzeit ohne Eltern im Asylzentrum in Erdberg. Die Möglichkeiten, den Tag sinnvoll zu gestalten, waren bislang begrenzt. Nun sollen Sport und Deutschkurse Struktur in ihren Alltag bringen.

Yasin wohnt seit vier Monaten im Flüchtlingsquartier in Erdberg. Er ist 17 Jahre alt und kommt aus Afghanistan. Nach Österreich kam er ganz alleine. Seine Eltern seien während der Flucht gestorben. Er hat nur noch seinen Bruder, dieser lebt im Iran, einmal im Monat telefoniert er mit ihm. Er besucht gemeinsam mit sieben weiteren Flüchtlingen aus Erdberg am Donnerstagnachmittag einen Deutschkurs. Der Kurs findet zum ersten Mal statt – sie lernen das Alphabet.

In der Betreuungsstelle in Erdberg sind derzeit rund 500 männliche Flüchtlinge untergebracht, 275 davon sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Neben einer ungewissen Zukunft ist es für sie sehr belastend, vor Ort keine Möglichkeiten zu haben, ihre Tage sinnvoll zu gestalten und Aktivitäten zu unternehmen. Aus diesem Grund wurde jetzt das Projekt „connect.erdberg“ gestartet.

Der Verein Wiener Jugendzentren (VJZ) koordiniert in Zusammenarbeit mit den Österreichischen Kinderfreunden (ÖKF) die Angebote für Flüchtlinge. Neben Deutschkursen und Spielecafes gibt es jede Woche sportliche Aktivitäten wie Fußball, Basketball, KungFu, Taekwondo, Jogging oder Ping Pong.

Tagesstruktur wichtig für Jugendliche

„Man muss sich vorstellen, die Jugendlichen sind Monate, oft bis zu zwei Jahre, auf der Flucht, haben dramatische Erlebnisse hinter sich. Jeder kann sich vorstellen, dass es belastend ist, wenn man jung ist, in dem Asylzentrum sitzt und nichts zu tun hat. Es ist ganz wichtig, dass Jugendliche eine gewisse Tagesstruktur haben, dass sie positive Erlebnisse haben, dass sie wieder Lebensfreude erleben und dass sie das Gefühl bekommen willkommen zu sein“, sagt Gabriele Langer Geschäftsführerin der Wiener Jugendzentren.

Die Flüchtlinge werden vom „Camp Erdberg“ abgeholt und zu den einzelnen Kursen gebracht. „Am Anfang war es schwierig die einzelnen zu motivieren, aber jetzt, wo es sich herumgesprochen hat, nehmen täglich immer mehr daran teil“, sagt Martin Janata Projektleiter von „connect.erdberg“.

Anschließend an den Deutschkurs findet Fußball statt, organisiert wird dies vom Verein Juvivo. Yasin würde gerne mitspielen, er hat aber keine Fußballschuhe. Um die 20 Flüchtlinge aus Erdberg kommen zum Fußballspielen, gemeinsam mit den Jugendlichen von Juvivo wird trotz starker Hitze mit großem Engagement gekickt.

Beim Fußball spielt Sprache keine große Rolle

Rahman ist einer von ihnen, er ist 17 Jahre alt, kommt aus Afghanistan und wohnt seit vier Monaten in Erdberg. Seine Eltern leben in Afghanistan. Er habe in Afghanistan auch Fußball gespielt und freut sich, dass er hier wieder spielen kann. Rahman möchte hauptsächlich die Deutschkurse und das Fußballangebot nutzen.

Beim Fußballspiel scheint es, also ob die Sprache keine große Rolle spielt – jeder kennt die Regeln, mehr braucht es nicht. Dennis, ein Jugendlicher aus der Nachbarschaft, kommt schon seit Jahren jede Woche zum Fußballspielen. Er finde es gut, dass die Flüchtlinge jetzt mitspielen: „Es ist mal etwas Anderes, auch deren Fußballstil zu sehen. Sie spielen viel hektischer, als wir in Österreich“.

Beim Fußballspielen könne man sich auch mit Händen und Füßen verständigen. Viele Flüchtlinge können türkisch, meint Dennis. da er selbst „Halbtürke“ ist, helfe das. Auf die Frage, ob die Flüchtlinge auch Englisch miteinander sprechen, meint der 18-Jährige: „Bis man drauf kommt, ob der Englisch spricht oder nicht, hat man schon ein Gegentor kassiert.“

Flüchtlinge Unterricht

ORF / Laura Schrettl

30 Freiwillige bieten Deutschkurse an

„Ich finde das super, wenn man sich überlegt, die sitzen den ganzen Tag im Haus und haben nichts zu tun. Und so können sie andere Leute kennenlernen, die Sprache üben und sich ein bisschen willkommen fühlen“, sagt die Einrichtungsleiterin von Juvivo Andrea Kropik. Am Anfang waren die Jugendlichen, die das Angebot sonst von Juvivo nutzen, skeptisch, erzählt Kropik.

„Es kam etwa die Frage: Wer sind denn die? Wenn man ihnen aber erklärt warum die Flüchtlinge da sind und wie es denen geht, dann gibt es schon Verständnis. Viele Jugendlichen bei uns im Juvivo haben auch irgendwo in ihrer familiären Herkunft einen Migrationshintergrund, da kann man dann schon Mitgefühl wecken. Es ist ja auch gut für die Jugendlichen, einmal ganz andere Geschichten zu hören“, sagt Kropik.

Nach dem Fußballspielen findet jeden Donnerstagabend noch ein weiterer Deutschkurs statt. Dieses Mal nehmen über 30 Flüchtlinge teil, nicht nur Jugendliche, sondern auch Erwachsende. Um die 30 freiwilligen Privatpersonen haben sich zusammengetan und geben nun sechs Deutschkurse pro Woche. Eine davon ist Eva Ipsmiller, sie studiert „Transkulturelle Kommunikation“ und koordiniert die Kurse. Einige Helfer sind erfahrene Lehrer, die meisten haben jedoch keine pädagogische Ausbildung.

Suchmaschine für ehrenamtliche Hilfsaktionen

Das Angebot gestalten neben Freiwilligen vor allem Organisationen wie die VHS, die Caritas, die Volkshilfe Wien, die Diakonie, der ASKÖ Landesverband WAT, der Shaolin-Tempel, die Nachbarschaftszentren, Don Bosco und Juvivo. Eingebettet ist das Projekt auch in die Freiwilligeninitiative der Stadt Wien, bei der Interessierte mithilfe einer Suchmaschine auf der Website der Stadt Wien Angebote für ehrenamtliche Hilfsaktionen finden können.

Laura Schrettl, wien.ORF.at

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