Hacker: „Zelte nicht notwendig“

Der jetzige Zustand sei ein „Zustand mit Anlauf“, Zelte seien „nicht notwendig“ gewesen: Der Wiener Flüchtlingskoordinator Peter Hacker kritisiert Österreichs Flüchtlingspolitik. Die Stadt richtet eine Webseite für ehrenamtliche Flüchtlingshilfe ein.

„Der jetzige Zustand ist ein Zustand mit Anlauf. Wir haben schon vor einem Jahr diskutiert, dass diese Situation kommen wird. Die ist nicht neu und nicht überraschend. Wir wussten, dass es einen Bürgerkrieg und eine Flüchtlingsbewegung gibt. Und wir wussten, dass wir das System der Flüchtlinge österreichweit nicht ordentlich gepflegt haben. Wir haben jetzt ein bisschen mehr Flüchtlinge als 2002 und 2003. Also man kann höchstens überrascht sein über die Überraschung“, so der Wiener Flüchtlingskoordinator Peter Hacker gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal.

Zelte seinen keine Lösung, wären nicht notwendig gewesen und würden der Stimmung nicht gut tun, sagt Hacker. „Wenn Flüchtlingszelte als Bedrohungsbilder aufgebaut werden, darf man sich nicht wundern, wenn sich Menschen bedroht fühlen und eine Abwehrhaltung einnehmen“ - mehr dazu in Flüchtlingskoordinator für „klare Verfahren“ (wien.ORF.at; 6.7.2015).

Peter Hacker und Harry Kopietz

APA/Hans Klaus Techt

Flüchtlingskoordinator Peter Hacker mit Landtagspräsident Harry Kopietz (SPÖ)

45 Burschen aus Traiskirchen kommen nach Wien

Dafür, dass in Traiskirchen Menschen ohne Bett auskommen müssen, während es auch Kasernen gibt, hat Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) kein Verständnis. Wien würde seit zwölf Jahren Tag für Tag die Quote erfüllen und das wolle man auch weiter tun. Nächste Woche sollen noch weitere unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Traiskirchen - dieses Mal 45 Burschen - ein Quartier in Wien bekommen.

Derzeit sind 22 Mädchen aus Traiskirchen in Wien untergekommen, die restlichen Plätze - zunächst war von 50 Mädchen die Rede gewesen - wurden jungen allein stehenden Frauen zur Verfügung gestellt. „Wir wurden zuerst falsch informiert, das Angebot steht aber weiterhin“, erklärte Wehsely - mehr dazu in Verbesserung für minderjährige Flüchtlinge.

Wien nimmt minderjährige Flüchtlinge auf

Die Stadt Wien hat angekündigt, alle unbegleitet minderjährigen Mädchen aus Traiskirchen aufzunehmen. Die ersten sind schon übersiedelt.

Wien betreut 10.000 Flüchtlinge

Wien will dementsprechend auch weiterhin alle unbegleiteten minderjährigen Mädchen aufnehmen. Bei den Buben sei das leider nicht möglich - immerhin handle es sich um knapp 2.000. Man werde jedoch weiterhin - Schritt für Schritt - Flüchtlinge aufnehmen. Weitere Betreuungsangebote seien bereits in Vorbereitung. „Es ist ganz wichtig zu handeln und nicht immer nur zu reden“, so die Sozialstadträtin. Insgesamt betreut Wien derzeit in allen 23 Bezirken rund 10.000 Flüchtlinge, 80 Prozent von ihnen wohnen in Privatunterkünften.

Seit Jahresbeginn wurden 2.000 zusätzliche Plätze geschaffen. Besondere Betreuung bekommen die 490 unbegleiteten Minderjährigen. Wehsely sprach sich auch für die Unterbringung in Kasernen aus. „Das ist vielleicht nicht optimal, aber besser als ein Zelt oder kein Zelt“, meinte sie auch in Richtung der anderen Bundesländer.

Kritik an falschen Zahlen bei Verfahrensdauer

Peter Hacker kritisierte, dass Asylverfahren besonders lang dauern. Er glaubt, dass nicht die richtigen Zahlen kommuniziert werden, obwohl es Verfahren gebe, die so schnell wie noch nie zuvor erledigt werden.

„Das sind die, die sich in den Statistiken wiederfinden. Warum dann erzählt wird, wir hätten die schnellsten Verfahren in Europa. Aber von den zehn Akten auf einem Stapel werden halt zwei, nämlich die schnellen Verfahren, herausgezupft und schnell erledigt und die anderen acht bleiben liegen. Wir haben eine riesengroße Zahl an Flüchtlingen, die jahrelang nicht einmal für ein erstes Gespräch für ein Verfahren eingeladen wurden. Die versauern sozusagen in der Grundversorgung“, so Hacker.

Auch die aufblasbaren Turnhallen, die derzeit im Gespräch sind, hält er für die falsche Antwort: „Dort kann man Tennisspielen, dort kann man Schwimmtraining machen. Aber eine Traglufthalle ist kein Lebensraum. Wir reden schon über Menschen, die keine andere Spezies sind, sondern einfach das Pech des falschen Geburtsortes haben.“

„Qualifizierte Betreuung, keine Securities“

Er sei derzeit in Kontakt mit mehreren Wiener Bezirksvorstehern, schilderte Hacker. Denn in Wien gelte weiterhin das Prinzip des Kleinquartiers. „Wir wehren uns gegen Großquartiere, sie sind auch nicht notwendig“, meinte der Flüchtlingskoordinator. „Vor allem bei Minderjährigen: Mehrere hundert Teenager auf einem Haufen ist eine schreckliche Vorstellung - auch wenn sie aus Meidling oder Simmering sind.“ Ein Nein habe er dabei noch nie gehört, den Bezirken sei nur wichtig, dass die Betreuung gegeben sei. Dahin fließe übrigens der Großteil der erhöhten Tagsätze: „Wir wollen eine qualifizierte Betreuung, keine Securitys.“

Im neuen Verteilerzentrum Nußdorfer Straße sei der Betrieb inzwischen ebenfalls angelaufen, berichtete Hacker. Derzeit befinden sich 33 Personen dort, es seien jedoch noch viele Arbeiten - etwa die Renovierung - durch das Innenministerium zu erledigen. Auch die Organisation wie etwa medizinische Versorgung klappe noch nicht immer reibungslos.

Die Zukunft des temporär wieder eröffneten Quartiers in Erdberg, in dem sich derzeit 472 Menschen, darunter 230 unbegleitete Minderjährige, befinden, sei noch nicht klar: Im August werde eine Evaluierung stattfinden, kündigte der Flüchtlingskoordinator an. Im Herbst soll dann eine Entscheidung getroffen werden, derzeit sei eine Schließung mit Ende des Jahres geplant.

Plattform für ehrenamtliches Engagement

Wer in Wien Flüchtlingen helfen will, hat künftig die Möglichkeit, auf der neuen Online-Plattform www.flüchtlinge.wien zu sehen, wo Zeit-, Geld- und Sachspenden oder Wohnungen am ehesten gebraucht werden. Die von den „Helfern Wiens“ im Auftrag der Stadt betriebene Plattform soll die Koordination von ehrenamtlichem Engagement erleichtert.

So können Menschen etwa angeben, wo sie welchen Wohnraum zur Verfügung stellen können. Diese Angebote werden dann direkt an die neue Flüchtlingskoordinationsstelle, die beim Fonds Soziales Wien (FSW) angesiedelt ist, weitergeleitet. Für Sach- und Geldspenden gibt es eine Liste von Organisationen, die diese brauchen. „Wir haben bewusst auch kleine NGOs eingebunden, die sich keinen PR-Apparat leisten könnten“, betonte Peter Hacker.

Zeit spenden für Arztbesuche

Auch Zeit kann gespendet werden: So kann man etwa anklicken, an welchen Wochentagen zu welcher Uhrzeit man beispielsweise für Unterstützung bei Behördenwegen und Arztbesuchen oder für Deutschkurse zur Verfügung steht. Danach werden Organisationen vorgeschlagen, die diese Hilfe suchen. Neben der Online-Plattform, die auch NGOs in ihre Homepages einbinden können, steht auch eine Telefonnummer zur Verfügung: Unter 01/245 24 99 kann man seine Hilfe anbieten und wird vermittelt. 20 Organisationen sind bereits online, weitere sollen folgen, erklärte Harry Kopietz (SPÖ), Landtagspräsident und Vizepräsident der „Helfer Wiens“.

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