Migranten spenden für Wien Museum

Die Suche nach Objekten aus der „Gastarbeiter“-Zeit für das Wien Museum gestaltet sich schwierig. Erste Highlights kann das Projekt „Migration sammeln“ jedoch bereits präsentieren - etwa „Tschuschi-Comics“ und ein privates Fotoalbum.

Seit einem halben Jahr versuchen Historiker und Wissenschaftler in der migrantischen Community museumsrelevante Gegenstände zur Wiener Migrationsgeschichte zu sammeln. Die Suche ist aufwändig, sagt Projektleiterin Vida Bakondy gegenüber wien.ORF.at: „Es dauert, bis einem die Leute vertrauen und zu sich nach Hause einladen“ - mehr dazu in Wien Museum startet Sammlung zu Migration (wien.ORF.at; 11.3.2015).

Viele Erinnerungen bereits verloren

Viele Gegenstände gingen über die Jahre verloren oder wurden aus Platznot bzw. bei Umzügen entsorgt. „Oft wollen sich die Leute auch von ihren Erinnerungsstücken nicht trennen. Sie möchten, dass diese innerhalb der Familie weitergegeben werden“, so Bakondy. Doch es gibt auch jene, die ihre persönlichen Fotos, Briefe, Videos und Erinnerungsstücke der neuen Sammlung schenken.

Verhältnis zu Wienern dokumentiert

Ein Highlight ist etwa das Tagebuch von Zdravko Spajic. „Es ermöglicht einen facettenreichen Einblick in den Alltag eines jungen Migranten in der jugoslawischen Vereinsszene in Wien im Jahr 1974“, so Bakondy. Die Schenkung dokumentiert Erlebnisse im Alltag, bei der Arbeit und in der Freizeit - vom Fußballspielen bis zum Tanzen in der Disko. Auch persönliche Stimmungen und Kommentare über das Verhältnis zu österreichischen Kollegen sind dokumentiert.

Schönbrunn-Foto in Türkei geschickt

Unter den abgegebenen Gegenständen sticht auch das Firmenzeugnis von Ali Sel hervor. „Es ist exemplarisch für die große Identifikation mit der ehemaligen Arbeitsstelle. Das Zeugnis hing in Sels Schlafzimmer und dokumentiert die Firmentreue, aber auch den persönlichen Dank der Firma an einen guten Arbeiter, der nach 20 Jahren Mitarbeit in der Firma in Pension ging.“

Veranstaltungshinweis:

Einabendausstellung „Migration sammeln - erste Zwischenbilanz“, mit Impulsreferat von Boris Buden, Freitag, 4. Dezember, 18.30 Uhr, Wien Museum, Eintritt frei.

Zu den Besonderheiten gehört ebenso das persönliche Fotoalbum von Latif Turan. Die darin enthaltenen Fotos stellen einen Bezug zu Turans Umfeld in der Türkei und in Österreich her. Es enthält Fotos von Familie, Verwandtschaft und Freunden aus den 1960er und 1970er Jahren.

Turan dokumentiert darin nicht nur sein altes Lebensumfeld in der Türkei, sondern auch sein neues in Wien: seine Wohnung, sein persönliches Umfeld und sein erstes Auto. „Die Fotos sind Selbstinszenierungen in einem neuen Umfeld. So wurden Besuche im Schloss Schönbrunn auch dazu genützt, um sich selbst an diesem Ort zu fotografieren. Diese wurden auch an die Daheimgebliebenen in der Türkei geschickt“, so Bakondy.

Objekte für Sammlung zu Integration im Wien Museum

ORF

Musik und Verpackungen erzählen von den Wiener „Gastarbeitern“

Migranten-Comics und türkische Lira

In die Sammlung des Wien Museums werden künftig auch „Tschuschi“-Comics aufgenommen. Bakondy: „Die sind deshalb wichtig und interessant, weil sie eine Intervention in den Diskurs über Migration um 1990 aus der Perspektive von Migranten darstellt. Als zeitgenössisches Dokument ist es spannend, da es einen Einblick in damalige Diskurse über Migration liefert, die Zeichner Hakan Gürses aufgreift und mit Witz und Ironie kritisiert.“

Bedeutend ist laut Bakondy auch die Fotocollage „Ein Vermögen aus weißem Papier“ aus dem Besitz von Gülgün Stoiber: „Die Collage steht exemplarisch für Dinge, die auf die Reise mitgegeben wurden, als Erinnerungssouvenirs von den Daheimgebliebenen.“

Stoiber kam 1985 zum Studium nach Österreich. Zum Abschied reichte ihr der Vater ein Blatt Papier zur Erinnerung, das sein persönliches Vermögen symbolisierte. Auf der einen Seite klebt ein Geldschein, 100 türkische Lira, stellvertretend für das erste selbstverdiente Geld des Vaters aus dem Jahr 1958. Auf der anderen Seite finden sich Porträtfotos der Familie, die für den Vater den Reichtum symbolisiert.

Geschichte wichtiger als Gegenstand

Der Schwerpunkt der Historiker, die mit dem Projekt „Migration sammeln“ von der Stadt Wien (MA 17) und vom Wien Museum beauftragt wurden, liegt auf der Geschichte der Zuwanderung aus den klassischen „Gastarbeiter“-Ländern Jugoslawien und der Türkei. Oft abgegeben wurden in den vergangenen Monaten etwa „Ausländer-Arbeitskarten“. „Diese stehen symbolisch dafür, dass die Menschen berechtigt waren zu arbeiten“, so Bakondy.

Gesucht werden von den Experten noch außergewöhnliche Gegenstände mit Geschichten. Bakondy: "Die Gegenstände müssen in die Lebensgeschichten ihrer Besitzer eingebettet sein, sonst kommt es bei unserer Sammlung zu einer Beliebigkeit, die wir nicht wollen.“ Gesammelt wird noch über ein Jahr lang. Ein Zwischenergebnis wird im Dezember im Wien Museum präsentiert.

Florian Kobler, wien.ORF.at

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