„Auf der Flucht“: Geschichten der Flüchtlinge

„Auf der Flucht“: Die ORF-Korrespondenten Karim El-Gawhary und Mathilde Schwabeneder haben am Sonntag im „Radio-Wien“-Literatursalon in Wien ihr neues Buch präsentiert. Darin erzählen sie die Geschichten der Flüchtlinge.

60 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht. Hunderttausende flüchten vor den Kriegen in der arabischen Welt und auch in Afrika nach Europa. Sie alle bringen ihre eigenen, meist dramatischen Geschichten mit. Die beiden ORF-Korrespondenten Karim El-Gawhary und Matilde Schwabeneder erzählen in ihrem neuen Buch „Auf der Flucht“ diese Geschichten.

„Wer sind diese Menschen? Welche Schicksale haben sie? Warum müssen sie weggehen?“ Das sind die Fragen, die sich die beiden Journalisten gestellt haben und in ihrem gemeinsamen Buch in vielen Beispielen beantworten. Sie beschreiben Ausgangs- und Endpunkten der Völkerwanderung - und den Schrecken dazwischen. „Arbeitsmäßig trennt uns praktisch nur ein Meer, aber die Geschichten sind die gleichen. Bei mir fahren sie los und bei Mathilde kommen sie an", sagt El-Gawhary.

„Realität hat uns eingeholt“

Besser hätte der Zeitpunkt für die Präsentation des Buches nicht gewählt werden können. Während die beiden im „Radio-Wien"-Literatursalon in der Wiener Urania über ihr Buch erzählten, reisten wieder tausende Menschen über den Westbahnhof weiter nach Deutschland. „Jetzt sind sie auch am Westbahnhof angekommen. Im Grunde hat uns die Realität bei diesem Buch auch etwas eingeholt. Das, was man da liest, wird in Zukunft auch mein Nachbar sein, mein Arbeitskollege. Der wird genau diese Geschichten mit sich tragen, die wir hier geschrieben haben“, sagt El-Gawhary.

Hinweis:

Den „Radio-Wien“-Literatursalon hören Sie am Montag von 19.00 bis 21.00 Uhr auf Radio Wien.

Dass Flüchtlinge in ihrer Heimat Dinge erlebt haben, die sich kaum jemand in Europa vorstellen kann, zeigen anschaulich die Zeichnungen syrischer Kinder im Libanon. Wo ein österreichisches Kind seine Familie oder eine idyllische Blumenwiese malen würde, sind hier Bomber, abgerissene Gliedmaßen, abgeschlagene Köpfe zu sehen, dazwischen ergießt sich ein Blutschwall. Spiegelbilder traumatisierter Seelen.

El-Gawhary und Schwabeneder

APA/Hochmuth

El-Gawhary und Schwabeneder

Karim El-Gawhary schildert Flüchtlingsschicksale, wie wir es von ihm gewohnt sind: stets mit menschlichem Fokus, nie moralisierend oder sensationslüstern. Letzteres wäre ohnehin völlig überflüssig, denn die Geschichten machen in ihrer Schlichtheit am meisten betroffen. So etwa jene der von IS-Schergen verschleppten Amscha, die in Mossul wie ein Stück Vieh für umgerechnet zwölf Euro verkauft wurde.

„Auf der Flucht“ rührt streckenweise zu Tränen, ist aber keineswegs ein rührseliges Buch, vielmehr beinhaltet es etliche harte Fakten - etwa zum Geschäft der Schlepper und ihren perfiden Methoden. Die Grenzen zum Menschenhandel sind fließend. Handys von Flüchtlingen werden abgehört, um sie orten und überfallen zu können. Misshandlung, Vergewaltigung, Erpressung stehen an der Tagesordnung, rasch findet man sich auf einem Sklavenmarkt oder im Bordell wieder. Obwohl den Behörden die Bosse teils namentlich bekannt sind, beißen sie sich wegen der Beziehungen dieser Leute die Zähne aus.

Service:

Karim El-Gawhary, Mathilde Schwabeneder „Auf der Flucht“, Kremayr & Scheriau, 188 S., 22 Euro

Buch erzählt Traumata der Helfer

Schwabeneder widmet sich auch den Tragödien im Mittelmeer. Ein Blick nach Lampedusa relativiert vieles: Während im Rest Europas über Quoten, Zäune oder bürokratische Zuständigkeiten diskutiert wird, riskieren dort Freiwillige am offenen Ozean regelmäßig ihr Leben, um Flüchtlinge aus überfüllten Booten zu retten. Schwabeneder beschreibt die Traumata dieser Helfer.

„Es ist emotional hart, solchen Menschen gegenüberzusitzen. Sie sind selbst oft froh, ihre Geschichten erzählen zu können", meint Schwabeneder über die Entstehung des Buches. „Das Schreiben dieses Buches hatte auch etwas Therapeutisches. Wenn man diese Geschichten nur in sich reingefressen hätte, wäre ich jetzt ein seelisches Wrack. Das Weitererzählen dieser Geschichten war wichtig für einen selbst“, so El-Gawhary. Wohl als Klammer für die Reportagen aus den unterschiedlichen Weltgegenden gedacht ist eine weitere aus Großraming in Oberösterreich, wo El-Gawhary in die Rolle eines Lokalreporters schlüpft.

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