Filzmaier: „Migrantenstimmen“ überschätzt

Fast jeder fünfte Wahlberechtigte bei der Wien-Wahl hat Migrationshintergrund. Der Einfluss dieser Gruppe werde aber überschätzt, sagt der Politologe Peter Filzmaier, wegen der Wahlbeteiligung und der Schwierigkeit, sie anzusprechen.

Mehr als 214.000 Wahlberechtigte sind im Ausland geboren. Damit hat fast ein Fünftel der Wählerinnen und Wähler Migrationshintergrund - mehr dazu in 214.000 wahlberechtigte Migranten. Filzmaier hält den Einfluss dieser inhomogenen Wählergruppe aber für überschätzt. „Nach den Studien ist die Wahlbeteiligung in dieser Gruppe eher niedriger. Man muss sich auch fragen, ob diese Migranten eine Identität als Migranten haben. Wenn sie sich nicht so fühlen, hat es auch wenig Einfluss auf ihr Wahlverhalten“, sagt Filzmaier im Gespräch mit wien.ORF.at.

Häupl in zweisprachigem Inserat

SPÖ Wien

Bürgermeister Häupl (SPÖ) wirbt auch zweisprachig

SPÖ hat Chance in Mobilisierung

Trotzdem versuchen die Parteien bei der Wien-Wahl, die Migrantinnen und Migranten gezielt anzusprechen. Vor allem die SPÖ sieht hier Potenzial, wenn sie mobilisieren kann. Laut SORA erreichte die SPÖ 2010 bei Migranten 55 Prozent. Die SPÖ, die vor allem bei den türkischstämmigen Personen viele Wähler hat - schaltet Inserate in Vereinszeitungen, besucht gezielt Migranten und ist auch bei Veranstaltungen der verschiedenen Communitys präsent.

„Wir haben aber keine eigenen Inhalte für Migranten. Sie haben die gleichen Probleme, Arbeitsplatz, Ausbildung, leistbares Wohnen. Da muss man nicht groß unterscheiden“, sagt SPÖ-Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler. Es gibt auch SPÖ-Flyer und Inserate auf Türkisch oder Serbisch. „Aber, und das ist uns wichtig, es ist immer Deutsch dabei. Es ist positiv, wenn man Sprachen beherrscht.“

Die ÖVP verteilt keine zweisprachigen Flyer, sagt Landesgeschäftsführer Alfred Hoch. Kandidaten mit Migrationshintergrund stehen aber auf der Liste. „Sie werben für sich in den Communitys. Das Wahlprogramm gilt da aber genauso“, sagt Hoch. „Eine Wahlliste soll immer eine Gesellschaft abbilden“, so Hoch.

FPÖ ortet Zuspruch bei Migranten

Die FPÖ lehnt Wahlwerbung in anderen Sprachen ab. „Der Migrationshintergrund steht bei uns nicht im Vordergrund“, sagt FPÖ-Integrationsreferent Martin Hobek. „Von den 300 Kandidaten auf unseren Listen haben 18 Migrationshintergrund, drei ein fixes Ticket“, sagt Hobek. Darunter befindet sich ein serbischstämmiger Politiker, eine Frau mit slowakischer Mutter und mit Wolfgang Jung ein „volksdeutscher Heimatvertriebener“, erklärt Hobek. Die FPÖ ist vor allem in der serbischen Community beliebt, man bemerke jetzt auch mehr Zuspruch in anderen Migrantengruppen, etwa bei Türken. „Vor allem bei denen, die schon integriert sind. Sie sind oft unzufrieden und sagen, die, die jetzt kommen, haben es leichter“, so Hobek.

Grüner Wahlslogan auf Arabisch

Grüne Wien

Sujet der Wiener Grünen

Die Grünen betreiben mehrere Arbeitskreise für verschiedene Migrantengruppen. Im Wahlkampf werden die Communitys verstärkt angesprochen, vor allem bei Festen oder in Lokalen. Außerdem haben die Grünen Postkarten in vielen Sprachen produzieren lassen, die sich mit Integrations- und Migrationspolitik beschäftigen und im Straßenwahlkampf und auf Lokaltouren verteilt werden.

Außerdem finden sich etliche Kandidatinnen und Kandidaten auf der Liste, angeführt von der in Griechenland geborenen Spitzenkandidatin Maria Vassilakou, die seit dem Wechsel von Senol Akkilic zur SPÖ auch Integrationssprecherin der Partei ist. Sie möchte Willkommenszentren schaffen. „Mit wenig Bürokratie wird dort Menschen aus anderen Ländern beim Zurechtfinden in Wien geholfen“, so Vassilakou.

NEOS macht keinen speziellen Wahlkampf für migrantische Communitys, auch aus finanziellen Gründen. Auf Eigeninitiative gehen einzelne Kandidaten auf Bezirksebene auf Wähler mit Migrationshintergrund speziell zu. Man wende sich nicht an spezielle Communitys, sondern an alle „Menschen, die echte Veränderung wollen“, so das Wahlkampfstatement von NEOS.

Migranten vor Wahllokal

ORF.at/Zita Klimek

Werbung in Fremdsprachen eher nicht sinnvoll

Wahlwerbung in Fremdsprachen hält Filzmaier für nicht besonders sinnvoll. „Mindestens drei Viertel oder sogar vier Fünftel dieser Gruppe sagt, dass sie gute Deutschkenntnisse hat. Das hilft wahrscheinlich dann der FPÖ, die dann sagen kann, warum dürfen bei uns so viele wählen, die gar nicht Deutsch können. Das ist zwar eine grobe Vereinfachung, würde FPÖ-Wähler aber vielleicht ansprechen“, erklärt der Politologe.

Das gezielte Ansprechen von Migranten kann auch riskant sein, sagt Filzmaier. „Wenn ich jemanden anspreche, der sich gar nicht über den Migrationshintergrund definiert, ist er oder sie irritiert. Dazu habe ich sehr unterschiedlichen Migrationshintergrund mit teilweise auch historischen Rivalitäten. Da wäre dieselbe Botschaft kontraproduktiv. Die Parteien haben auch kein vollständiges Adressverzeichnis der Migranten.“

Debatte könnte FPÖ helfen

Das Bündnis Wien anders, das ebenfalls wienweit antritt, setzt auf Keivan Amiri. Er organisierte den Taxistreik gegen den Akademikerball und holte Flüchtlinge aus Ungarn nach Wien. Amiri kandidiert auf dem sechsten Platz der Landesliste. In der Ausrichtung differenziert Wien anders nicht nach Nationalitäten, sondern geht von einer gemeinsamen Migrationserfahrung aus, heißt es von Wien anders.

Mit großem medialen Begleittönen ist im Sommer die Kandidatur einer türkischen Liste bekanntgeworden, auch wenn deren Gründer Turgay Taskiran großen Wert darauf legt, nicht darauf reduziert werden zu wollen. Gemeinsam für Wien tritt wienweit an. Vor allem der SPÖ wurden dadurch Verluste vorausgesagt - mehr dazu in Türkische Liste würde SPÖ schaden. „Die Liste macht mir keine Angst. Ich glaube, sie haben sich mehr ausgerechnet, als tatsächlich kommt“, sagt Niedermühlbichler. Die Debatte über ethnische Listen könnte auch der FPÖ helfen, glaubt Filzmaier. „Sie sagen, das wollen wir nicht und können die Stimmen derer abholen, die sich darüber empören.“

Flüchtlingsthema überlagert Integration

Dann kommt noch dazu, dass das Ausländerthema derzeit mit der Flüchtlingsfrage besetzt ist - mehr dazu in Asyldebatte mobilisiert Wähler. Filzmaier rät den Parteien daher im Kampf um Migrantenstimmen eher zur Vorsicht. „Durch die Emotionalisierung fällt die Differenzierung weg. Jedes Thema, das mit Migration zu tun hat, wird mit den aktuellen Flüchtlingszahlen in Verbindung gebracht. Das ist inhaltlich nicht richtig, weil die Zuwanderung in den letzten Jahren selten mit Flüchtlingen zu tun hatte.“

Links: