Dschihadismus: Radikalisierung hinter Gittern

In Wien sitzen aktuell acht mutmaßliche Dschihadisten in Untersuchungshaft und warten auf deren Prozess. Gefängnis-Imame warnen, dass Radikalisierungen auch hinter Gittern stattfinden können.

Für 300 Muslime, die derzeit in der Justizanstalt Josefstadt einsitzen, gibt es nur einen Seelsorger. Im Büro des Gefängnis-Imams Ramazan Demir würden sich deshalb die sogenannten Elfer-Zettel - der Antrag für ein Einzelgespräch - geradezu stapeln. Demir kommt jeden Freitag in die Justizanstalt Josefstadt, um mit Insassen Fragen zu besprechen und diese zu beantworten.

Gefängnis-Imam

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„Es gibt so einige, die sagen, wird Gott mir verzeihen? Ich habe gehört, dass Gott immer nur bestraft“, schildert Demir die Ängste der Männer. Es gebe aber auch jene, die sich fragen würden ob der IS nicht doch islamisch sei „und da müssen wir Entradikalisierungsarbeit leisten“, sagte Demir im Gespräch mit „Wien heute“.

Gefängnisarbeit ehrenamtlich

Die Zeit reiche aber nur für zwei bis drei Einzelgespräche pro Woche. In ganz Österreich gebe es keinen muslimischen Seelsorger, der dieser Tätigkeit hauptberuflich nachgehen könnte. Alle Gefängnis-Imame berieten die Insassen ehrenamtlich und in deren Freizeit. „Wir wollen gemeinsam gegen Radikalisierung vorgehen, aber dann brauchen wir auch die Unterstützung vom Staat. Ich glaube, wir sind einer der größten Partner in Bezug auf Entradikalisierungsarbeit“, sagte Demir.

Sendungshinweis:
Einen „Wien heute“-Beitrag dazu sehen Sie heute um 19.00 Uhr in ORF2.

Im Justizministerium erkenne man zwar den Einsatz der Gefängnis-Imame an, sehe in der Deradikalisierung aber nicht die Hauptaufgabe der Seelsorger. Im Gefängnis gebe es eine Vielzahl an Betreuungsmaßnahmen, die das sogenannte Legalverhalten einer Person fördern würden, erklärte Michael Binder, Leiter der Kompetenzstelle Sicherheit: „Das können sozialarbeiterische und verhaltenstherapeutische Zugänge oder ein Anti-Aggressivitätstraining sein.“

Erfahrungen im Umgang mit mutmaßlichen Dschihadisten habe man auch aus der österreichischen Vergangenheit. „Das Phänomen des Terrorismus, also Gewalthandlungen zu setzen und dadurch eine staatliche Ordnung anzugreifen, ist kein Neues“, sagte Binder. Als Beispiel nannte er die OPEC-Geiselnahme in den 1970er-Jahren.

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Einzelgespräche mit dem Imam sind sehr gefragt

Gebete nur auf deutsch

Imam Ramazan Demir möchte den Gefängnis-Insassen die „richtigen Sichtweise des Islams“ näherbringen. Beim Freitagsgebet in der Gefängnis-Moschee werde ausschließlich auf deutsch gepredigt und immer wieder auf den Missbrauch islamischer Terminologie hingewiesen, sagte Demir: „Da kann ein Radikaler reinkommen und mit seinem Gedankengut infizieren und das ist natürlich sehr, sehr gefährlich“.

Generell sei Radikalisierung in österreichischen Gefängnissen zwar noch ein Randphänomen, aber ein unbedingt ernstzunehmendes, sagte der Gefängnis-Imam. Am Montag startet im Übrigen in Graz der Prozess gegen den Prediger „Ebu Tejma“. Er soll 14 Personen derart radikalisiert haben, dass sie sich der Terrormiliz Islamischer Staat angeschlossen haben - mehr dazu in „Größter Dschihadisten-Prozess Österreichs startet“ (steiermark.ORF.at).

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