Schuldirektorin: „Brauchen Hilfe“

Die Schuldirektorin einer Wiener Neuen Mittelschule (NMS) hat von massiven Deutschproblemen ihrer Schüler berichtet. Es folgte ein wütender Brief des Unterrichtsministeriums. In „Wien heute“ erklärte die Direktorin die Hintergründe.

Die Schülerinnen und Schüler der Neuen Mittelschule Gassergasse sprechen über 30 verschiedene Muttersprachen, dem deutschen Schulunterricht können viele aber auch nach vier Jahren Volksschule nicht folgen.

„Kein deutschsprachiges Fernsehen“

„Es sind Kinder, die schon in Wien geboren sind, wo die Eltern auch schon lange Jahre in Wien leben, aber einfach in der Muttersprache die ersten sechs Jahre aufgewachsen sind, kaum ein deutsches Wort gehört haben, kein Bilderbuch vorgelesen bekommen haben, kein deutschsprachiges Fernsehen anschauen. Das heißt, wenn sie in die Volksschule kommen, fangen sie mit dem Spracherwerb neu an“, so Direktorin Andrea Walach gegenüber „Wien heute“.

Andrea Walach

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Direktorin Andrea Walach im „Wien heute“-Interview

Lehrer brauchen Hilfe von Sozialarbeitern

Ergänzende Deutschkurse, Förderstunden, Teamteaching - trotz der zusätzlichen Angebote für die Kinder stoßen die Lehrer an ihre Grenzen, so Walach. „Ich glaube, dass die Begleitumstände für die Kinder so kompliziert sind, dass die deutsche Sprache zu wenig Einfluss auf sie hat. Die Kinder untereinander sprechen in Fragmenten der deutschen Sprache, in Zweiwortsätzen zum Beispiel.“

TV-Hinweis

„Wien heute“, 16.3.2016, 19.00 Uhr, ORF2 und danach online in tvthek.ORF.at.

Für die Direktorin ist längerfristige Frühförderung, also mindestens zwei verpflichtende Kindergartenjahre, die Lösung. Kurzfristig brauchten die Lehrer Hilfe. „Von den Lehrern weiß ich sehr wohl, dass sie tatkräftige Unterstützung von einem Support-Personal bräuchten. Das heißt, nicht der Lehrer geht in der Früh zum Telefon und ruft zu Hause an, weckt das Kind auf und sagt: ‚Du kommst jetzt in die Schule.‘ Dafür hätte ich gern ein Support-Personal, sprich zum Beispiel Sozialarbeiter“, so Walach.

Stadtschulrat sieht „Herausforderungen“

Der Stadtschulrat will sich den Problemen stellen, hieß es. „Es ist kein Geheimnis, dass manche Schulen in einer Stadt wie Wien vor größeren Herausforderungen stehen. Insgesamt ist es so, dass Städte viel schultern müssen. Wir schauen uns das an und arbeiten gemeinsam an einer Schulentwicklung, damit es besser werden kann“, sagte Stadtschulratspräsident Jürgen Czernohorszky (SPÖ).

Klasse

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Der Stadtschulrat will an einer Problemlösung arbeiten

Kritik an „Maulkorb“ für Schuldirektorin

Am Wochenende kritisierte Walach öffentlich in einem „Kurier“-Artikel die Bildungspolitik. Daraufhin soll sie am Dienstag prompt ein Schreiben des Bildungsministeriums, übermittelt durch die Schulinspektoren, die die Schuldirektorin „belehren mögen“, bekommen haben. „Wenn ich so wenig Ahnung hätte, sollte ich mich hüten, in der Öffentlichkeit etwas kundzutun“, zitierte Walach im „Kurier“ offenbar aus dem Brief. Sie sei im 40. Dienstjahr und habe eine Menge Ahnung, kontert die Pädagogin.

Aus dem Bildungsministerium heißt es laut Bericht, dass „grundsätzlich keine Maulkorberlässe erteilt würden“. Die zuständige Ministerin, Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ), verweile bis Ende der Woche aber in New York City bei der UNO-Frauenstatuskommission und könne deshalb vorerst nicht Stellung nehmen.

Auch der Lehrergewerkschafter Paul Kimberger wird in dem Artikel zitiert, er sei „erzürnt“, ähnliche Aktionen würden „immer wieder passieren“. Die Schule sei „alles andere als ein Einzelfall“, die Probleme der NMS Gassergasse seien ihm wohlbekannt. Der Anteil an Kindern mit nicht deutscher Muttersprache liege dort bei 98 Prozent, was zu enormen Herausforderungen für die Pädagogen führe.

Kritik seitens der Opposition

Die Bundes-Grünen brachten am Mittwoch eine Parlamentarische Anfrage ein, in der sie nähere Auskünfte zur Situation an der Schule verlangten und wissen wollten, ob es üblich sei, mit Schreiben an die Schulaufsicht zu reagieren, wenn Schulleiter Missstände öffentlich machen.

Auch die Wiener Rathaus-Opposition schoss sich am Mittwoch einhellig auf Heinisch-Hosek ein. FPÖ-Vizebürgermeister Johann Gudenus empörte sich per Aussendung über den „Skandal, der an die dunkelsten Zeiten des tiefsten Realsozialismus erinnert“. Er sieht „Deutschlernklassen“ vor Eintritt in der Regelunterricht als einzig gangbaren Weg im Sinne der Kinder.

Auch ÖVP-Landesparteichef Gernot Blümel hält Deutsch-Vorbereitungsklassen „für alle Kinder mit sprachrelevanten Defiziten“ für ein „Gebot der Stunde“. Das Vorgehen Heinisch-Hoseks sei „schändlich“. Als „unerträglich“ wiederum bezeichnete NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger den angeblichen „Maulkorberlass“: „Es muss möglich sein, über die Probleme zu sprechen, ohne dass ein Zeitungsinterview zum Hochverrat erklärt wird.“ Der grüne Klubobmann David Ellensohn meint: „Wir lassen uns die Wiener Lehrerinnen und Lehrer nicht mundtot machen. Wir brauchen diese Informationen aus erster Hand, um entsprechend reagieren zu können.“

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