Brodnig: „Zivilcourage gegen Internethetze“

Die aktuelle Flüchtlingssituation sei ein Brandbeschleuniger für rassistische Hetze im Internet, meint Journalistin Ingrid Brodnig, die gerade ein Buch zum Thema geschrieben hat. Dass der Ton im Netz rauer wird, hat mehrere Gründe.

Der am Montag veröffentlichte Report der Anti-Diskriminierungsstelle Zara zeigt, dass Rassismus im Internet deutlich zunimmt. Demnach spielen sich mittlerweile 20 Prozent der knapp 1.000 gemeldeten rassistischen Übergriffe im Netz ab. Am häufigsten sind demnach Asylwerber und Helfer von Hasspostings und Beschimpfungen betroffen. Eine Erklärung dafür hat profil-Journalistin Ingrid Brodnig.

wien.ORF.at: Warum ist die Sprache im Internet rauer geworden?

Ingrid Brodnig: Wenn eine Gesellschaft in einer Thematik total gespalten ist, wenn ein Streitthema herrscht, dann führt das auch dazu, dass die digitale Debatte härter wird. Es hat zum einen politische und gesellschaftliche Gründe. Und das andere ist, dass das Internet schon auch Besonderheiten in der Kommunikation hat.

Ein Aspekt ist die verschriftlichte Sprache. Das heißt, man kommuniziert meist einfach mit Tastatur oder übers Handy – und man sieht den anderen nicht. Man hat kein nonverbales Feedback. Wenn wir uns gegenübersitzen, sehe ich Augen, Gesicht, Mimik, Gestik. Das heißt, ich merke sofort, wenn ich sehr verletzend wirke. Im Netz fällt das vielen Menschen gar nicht so stark auf.

Das ist so genannte Unsichtbarkeit. Das ist nachweislich ein Faktor, warum Menschen etwas ruppiger werden können. Hinzukommen dann noch weitere Aspekte wie die sogenannte Echokammer. Das heißt, ich kann mich leichter nur mit Gleichdenken treffen, ich kann mich auch in meiner Meinung online sehr stark einzementieren.“

Ingrid Brodnig

ORF

Ingrid Brodnig arbeitet als Journalistin beim Nachrichtenmagazin profil

wien.ORF.at: Die Menschen posten oft mit Klarnamen und stehen zu ihren Bemerkungen. Warum?

Das Problem ist, dass zum Teil Menschen online ein Umfeld wahrnehmen, wo sie das Gefühl haben, sie sind in der Mehrheit. Gerade im Netz kann der Eindruck entstehen, dass eh alle gleich über Flüchtlinge denken. Das Interessante ist, wenn man dann Umfragen hat, sieht man, dass die Gesellschaft sehr gespalten ist. Da ist der persönliche Eindruck nicht immer der gleiche wie der gesellschaftliche.

Das zeigt auch, warum es so wichtig ist, dass Menschen die Stimme ergreifen. Untersuchungen seit den 1960er-Jahren zeigen, dass in dem Moment, wo jemand eine andere Meinung zur vermeintlichen absoluten Mehrheitsmeinung einnimmt, in dem Moment, wo nur eine Stimme Widerspruch erhebt, sich viele Menschen denken: ‚Aha, vielleicht sollte ich ein bisschen über meine Worte nachdenken.‘

Immer mehr Rassismus im Netz

Rassismus und Hetze im Internet nehmen zu. 20 Prozent der gemeldeten Übergriffe finden mittlerweile online statt.

Wichtig ist, wenn man es problematisch findet, in welcher Härte diskutiert wird, vielleicht einmal kalmierende Worte zu finden und zu sagen: ‚Moment, ich verstehe sehr viel Ängste, sehr viel Zweifel, aber vielleicht könnten wir das alles ein bisschen sachlicher diskutieren.‘

wien.ORF.at: Wenn ich von Hasspostings betroffen bin, soll ich das gleich zur Anzeige bringen?

Ich glaube, wenn man selbst von einem extrem untergriffigen Kommentar betroffen ist oder wenn über längere Zeit hinweg immer wieder verletzende Worte fallen, dass man sehr wohl darüber nachdenken sollte, eine Anzeige einzubringen. Ich nenn das immer die harte Linie des Strafrechts. Es hat ja gute Gründe, warum Verhetzung, warum Drohungen in unserer Gesellschaft verboten sind. Ich find es gut, dass es derzeit einige Fälle in dieser Richtung ausgefochten werden, die haben Signalwirkung. Da wird sichtbar gemacht, es gibt Grenzen. Denn oft können Worte wie ein Schlag in die Magengrube oder noch schlimmer sein.

Buchhinweis:

Ingrid Brodnig: Hass im Netz, Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können. Brandstätter Verlag, 232 Seiten, 17,90 Euro, Erscheinungstermin: 25. April 2016

Wenn ich beobachte, dass jemand online fertig gemacht wird, kann ich mich hinstellen und der Person den Rücken stärken, das ist ungemein wichtig. Wenn in einer Gruppe ganz hart gegen jemanden vorgegangen wird, dann kann ich mich auch hinstellen und sagen: ‚Moment ich seh das anders.‘ Das ist ein bisschen Zivilcourage. Das ist wichtig, weil das Opfer oft in solchen Fällen das Gefühl hat, es ist ganz allein, alle hassen einen.

Es ist auch wichtig in Diskussionen, die noch nicht total entglitten sind, zu sagen: ‚Ich würde mir wünschen, dass wir eine andere Diskussionskultur haben.‘ Ich kann zum Beispiel, wenn jemand aggressiv diskutiert, darauf hinweisen und sagen: ‚Du führst dauernd Quellen an, die unseriös sind‘. Oder es gibt das so genannte Themen-Hopping. Es gibt User, die diskutieren nicht, die springen von einem Thema zum nächsten. Sie werfen so viele vermeintliche Argumente ein, dass man gar nicht nachkommt. Da kann man sagen: ‚Moment, bleiben wir doch einmal bei einer Sache.‘

Ingrid Brodnig

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wien.ORF.at: Mit 1.1.2016 wurde das Strafrecht verschärft. „Wer im Wege einer Telekommunikation eine Person in ihrer Lebensführung unzumutbar über eine längere Zeit beeinträchtigt, kann zu maximal einem Jahr Haft oder einer Geldstrafe verurteilt werden“, heißt es im § 107 C Strafgesetzbuch. Was halten Sie davon?

Ich glaube, dass es auf jeden Fall sinnvoll ist, dass hier nochmal nachgeschärft wurde, und, dass wir in den letzten Monaten Gerichtsverfahren dazu hatten. Gar nicht nur wegen den einzelnen Betroffenen, sondern eher wegen der Signalwirkung. Also, dass man sehen konnte, dass dann auch berichtet wird und Menschen schrittweise lernen, dass es nicht okay ist zu Gewalt und Hass aufzurufen gegen Minderheiten.

Ich vergleiche das immer mit betrunken Autofahren. Das war auch sehr lange Zeit verboten, nur ich glaube, viele Österreicher hatten eine Zeit lang nicht so das Gefühl, dass da jemals was passiert oder man den Führerschein verlieren könnte. Mittlerweile ist das doch anders, da stärker kontrolliert wird. Und auch wenn weiterhin Menschen betrunken Autofahren ist es glaub ich nicht mehr so okay das in der Gesellschaft mit lustigen Worten zu kommentieren und zu sagen, dass man das dauernd tut. Es ist also wichtig, dass hier ein Lerneffekt eintritt.

Ich finde es sinnvoll, dass auch Ausländer mittlerweile Teil des Verhetzungsparagrafen sind. Warum? Der Verhetzungsparagraf sagt zwei Dinge: Erstens, es ist verboten, zu Gewalt aufzurufen. Das heißt, ich darf nicht sagen: ‚Zündet die Flüchtlingsheime an.‘ Zweitens ist es verboten, Hass zu schüren. Das hat historische Hintergründe. Man will nicht ein Klima haben, in dem es normal wird, regelmäßig gegen einzelne Gruppen so aufzutreten, dass wir wirklich Angst haben müssen, dass etwas passiert.

Das Interview führte Patrick Budgen, wien.ORF.at

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