Tschernobyl-Experte: „Das ist gefährlich“

Iouli Andreev hat vor 30 Jahren nach der Katastrophe von Tschernobyl die Aufräumarbeiten beim Reaktor geleitet. Heute forscht er in Wien und kritisiert, dass es keine internationale nukleare Notfalltruppe gibt: „Das ist gefährlich.“

Die Ukraine gehörte damals noch zur Sowjetunion. Daher musste Iouli Andreev, ein Oberst der sowjetischen Armee, die Aufräumarbeiten leiten. Trotz enormer Strahlenbelastung überlebte er diese Einsätze. Heute lebt Andreev in Wien. Gemeinsam mit dem Institut für Risikoforschung an der Universität für Bodenkultur (Boku) erstellte der Wissenschaftler eine Liste mit den Adressen der überlebenden Liquidatoren.

Iouli Andreev

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Iouli Andreev überlebte die Tschernobyl-Aufräumarbeiten

Kein Interesse an Notfalltruppe

Liquidatoren waren Männer, die zwangsrekrutiert wurden und ihr Leben riskierten, um die Folgen der Reaktorkatastrophe zu beseitigen. Andreev koordinierte in den ersten Monaten nach dem Super-GAU die Beseitigung der strahlenden Substanzen direkt beim Reaktor. Die Erfahrungen der Einsatzkräfte sollen bei einem weiteren Unfall verwendet werden. Allerdings ist das Interesse an der Gründung einer internationalen nuklearen Notfalltruppe bis heute nicht vorhanden, kritisiert Andreev im Interview mit „Wien heute“.

Ein Überlebender in Wien

Ein Oberst der Sowjet-Armee, der vor 30 Jahren in Tschernobyl beim Himmelfahrtskommando des Aufräumtrupps dabei war, lebt heute in Wien.

„Jedes Wort über einen möglichen atomaren Notfall schädigt das Image der Atomlobby und lässt die Aktienkurse fallen, das ist ein heikles Thema und deshalb gibt es bis heute keine internationale nukleare Spezialeinheit. Aber langsam sterben die Experten, die bei früheren Atomunfällen im Einsatz waren, und mit ihnen die Erkenntnisse. Das ist gefährlich“, so Andreev.

Wien „wäre für immer verloren“

Mit Technikern einer Wiener Firma arbeitet Andreev an Robotern, die eine hohe Strahlenbelastung aushalten und so im Ernstfall auch Fotos vom Inneren eines Unfall-Reaktors machen können.

Würde nur ein leichter Störfall in der Nähe einer Millionenstadt wie Wien passieren wäre, etwa im Atomkraftwerk Temelin, das eine Katastrophe, so Andreev: „Die Mehrheit der Menschen wird das zwar überleben, aber das Gebiet im Großraum Wien wäre für immer verloren.“

Iouli Andreev

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Andreev ist an der Entwicklung von Foto-Robotern beteiligt

Erfahrungsberichte in Arbeit

Im Hubschrauber über Tschernobyl war auch Andreev selbst hoher Strahlenbelastung ausgesetzt. Als Folge musste ihm ein Lungenflügel entfernt werden. Auch seine Frau, die ebenfalls im Einsatz war, leidet heute an Krebs. Aber darüber will der Wissenschaftler nicht sprechen, lieber widmet er sich an der Boku der Forschung. In einem halben Jahr sollen die Ergebnisse seiner Erfahrungsberichte vorliegen.

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