Polizeischutz für „Schutzbefohlene“

Im April haben Rechtsradikale eine Aufführung des Jelinek-Stücks „Die Schutzbefohlenen“ im Audimax der Uni Wien gestürmt. Auf Einladung der Stadt führt das Ensemble das Stück heute im Rathaus auf. Die Polizei bewacht die Vorstellung.

40 Rechtsradikale stürmen die Bühne, entrollen Transparente und Fahnen, werfen Flugblätter ins Publikum und verspritzen Kunstblut: Die Störaktion hat nicht nur das Ensemble bestehend aus Schutzsuchenden aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, sondern auch das Publikum verstört - mehr dazu in Audimax: Fahndung nach Rechtsextremen und in Identitäre: Keine „Störung einer Versammlung“.

Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) luden das Ensemble als Reaktion und als „klares Zeichen gegen Hetze und Ausgrenzung“ ins Wiener Rathaus ein, um das Stück dort aufzuführen. Das geschieht nun am Mittwochabend. Um mögliche Störaktionen dieses Mal zu verhindern, hat die Polizei im Arkadenhof des Rathauses ihr Aufgebot verstärkt. Polizisten in Zivil und Uniform bewachen die Aufführung.

Die Schutzbefohlenen im Audimax

APA/Anja Kundrat

Bühne im Audimax

Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene

Vierzig schutzbedürftige Männer, Frauen und Männer, die sich im Sommer 2015 hinter den Toren des Lagers in Traiskirchen kennengelernt haben, führen Stücke aus Elfriede Jelineks Text „Die Schutzbefohlenen“ auf. Bernhard Dechant als verzweifelt überforderter Angestellter der ORS, Organisation für Regie und Spezialaufträge, der Betreiberfirma des Erstaufnahmelagers Traiskirchen, leitet den Chor der Deutsch lernenden Flüchtlinge. Auf die Frage: „Wann sind wir wieder wer?“ hat er keine Antwort.

Jelineks Text ist die Spinne, die Fäden spinnt zwischen Menschen im Publikum, die ein leerstehendes Zimmer haben und Menschen auf der Bühne, die seit fünf Monaten in Traiskirchen hausen müssen: zwischen Menschen, die in Syrien und dem Libanon im Theater das Publikum fesselten und solchen, die noch nie ein syrisches oder libanesisches Theaterstück gesehen haben - zwischen Menschen, die sich schämen, weil sie um Hilfe bitten müssen und Menschen, die sich schämen, dringend benötigte Hilfe nicht geben zu dürfen.

Realität greift in Regie ein

Dabei spielt der Irrsinn der Flüchtlingspolitik Coregisseur: Schauspieler wurden nach Dublin-Verordnung abgeschoben oder nach Vorarlberg transferiert und von neu Ankommenden ersetzt. Das Ensemble wurde von frustrierten jungen Männern als Projektionsfläche für ihre Angst vor der Komplexität der Verhältnisse auserkoren und auf der Bühne während der Vorstellung attackiert.

Obwohl viele der geflüchteten Schauspieler den Angriff als traumatisches Déjà-vu der Brutalitäten, denen sie in Syrien, in Afghanistan, im Irak entkommen waren, erlebt haben, entschlossen sie sich trotzdem, das Stück weiterhin aufzuführen.

Spezialpreis beim Nestroypreis 2015

Für ihre Kombination aus mitreißender Performance und sozialer Verantwortung wurde „Die Schweigende Mehrheit“ und ihre Produktion „Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene“ beim Nestroypreis 2015 ausgezeichnet mit einem Spezialpreis.

Veranstaltungshinweis:

Mittwoch, 8. Juni, ab 19.30 Uhr, Arkadenhof des Wiener Rathauses

Um 20.30 Uhr begrüßen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) und Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) die Anwesenden. Direkt an die etwa einstündige Performance gibt es eine Diskussion mit den Schauspielern in vier Sprachen mit Übersetzern. Anschließend bleibt bis 24.00 Uhr Zeit zum Reden und Kennenlernen.

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