Ausstellung: Jüdische Schicksale vor Deportation

Kleine Sperlgasse 2a, Castellezgasse 35, Malzgasse 7 und Malzgasse 16 - das sind Orte mitten in Wien, an denen zur Zeit des Nationalsozialismus Sammellager eingerichtet waren, in denen Juden vor der Deportation interniert wurden.

Eine Ausstellung in der Krypta des Heldendenkmals setzt sich ab Mittwoch mit diesem Thema auseinander. „Der Öffentlichkeit sind diese Orte heute kaum bekannt, und nur wenige historische Originalquellen sind erhalten“, erklärte Historikerin und Kuratorin Heidemarie Uhl am Dienstag bei der Präsentation der von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) organisierten Schau „Letzte Orte vor der Deportation“.

989 österreichische Überlebende

Dabei machte Uhl auch gleich deutlich: Der Holocaust begann mitten in der Stadt - „vor den Augen der Wienerinnen und Wiener“. Ursprünglich handelte es sich bei den vier Standorten um ehemalige jüdische Schulen. In der Zeit des Nationalsozialismus fungierten sie dann als Sammellager, wo Juden vor ihrer Deportation interniert wurden.

Von dort wurden sie in Gruppen von je 1.000 Personen in offenen Lastwagen zum Aspangbahnhof gebracht. Zwischen Februar 1941 und Oktober 1942 transportierten insgesamt 45 Züge diese Menschen in Ghettos und Vernichtungslager. Überlebt haben von diesen Tausenden nur wenige: 989 österreichische Überlebende sind bekannt.

„Unglaubliche Brutalität“

Für die Ausstellung wurden Interviews mit Überlebenden in Sammellagern geführt. Sie geben dabei Einblick in diese hermetisch abgeriegelten Orte, in denen die Deportationstransporte zusammengestellt wurden - und erzählten von ihrer Angst, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung.

Veranstaltungshinweis

„Letzte Orte vor der Deportation“, 9. November bis 30. Juni, Krypta im Heldendenkmal, Montag bis Freitag 9.00 bis 11.30 und 12.30 bis 16.00 Uhr; geschlossen: 19. Dezember bis 8. Jänner

„Die Atmosphäre hat uns schon vorbereitet auf unser kommendes Schicksal“, erinnerte sich der Journalist Rudolf Gelbard, der Ende September 1942 in das Lager in der Kleinen Sperlgasse musste, bei der Ausstellungspräsentation. Es habe dort „unglaubliche Brutalität“ geherrscht.

Das Gebäude bot kaum Platz für die Internierten, war nicht beheizt. „Wir sind auf Matratzen nebeneinander gelegen, es war kalt“, erzählte er weiter. Fremde Menschen hätten sich aneinander geschmiegt, um sich zumindest etwas zu wärmen. Am 2. Oktober 1942 wurden Gelbard und seine Familie nach Theresienstadt deportiert. Er überlebte, aus seiner Familie sonst kaum jemand.

Ausstellung Letzte Orte vor der Deportation

APA/Georg Hochmuth

Der Zeitzeuge Rudolf Gelbard erzählte von den Sammellagern

Brief: „Warum muss ich so viel leiden?“

Vom Leben und Leiden in den Lagern erzählen auch Postkarten, Fotografien, ein Poesiealbum, Briefe und Gedichte von Juden. Auch Deportationslisten, Notizen und Dokumente der Nazis verdeutlichen das damalige Grauen. Viele der Dokumente befinden sich im Privatbesitz und sind in der Ausstellung erstmals zu sehen.

Besonders berührend ist der Abschiedsbrief von Rita Rockenbauer, den sie kurz vor ihrer Deportation an ihren geschiedenen Mann schrieb - und von ihrem bevorstehenden Schicksal ahnte: „Nun bin ich soweit und fahre Morgen ins Dunkle - in die Fremde - ins Unglück!! Wer kann es wissen, ob wir uns je im Leben wieder sehen werden - nach aller Voraussicht - nicht mehr; und doch fühle ich mich noch so jung - so unverbraucht -- warum muss ich so viel leiden? Warum?“

Drei der vier Gebäude stehen noch

Drei der vier Gebäude, in denen sich die Sammellager befanden, gibt es heute noch: In der Malzgasse 16 befindet sich wieder eine jüdische Schule, in der Kleinen Sperlgasse eine öffentliche Volksschule, und das Haus in der Castellezgasse beherbergt nun Wohnungen. Das Haus in der Malzgasse 7 wurde abgerissen. An dieser Stelle befindet sich seit den 1950er Jahren ein Gemeindebau.

Die Schau „Letzte Orte vor der Deportation“ läuft bis 30. Juni 2017 in der Krypta im Heldendenkmal. Diese befindet sich im Äußeren Burgtor. Die Wahl fiel bewusst auf diesen Ort: Ursprünglich war die Krypta den gefallenen Soldaten des Ersten und Zweiten Weltkriegs gewidmet. „Nun wird hier an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert“, unterstrich Kokuratorin Monika Sommer.

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