Erwin Wurm als „Gurkerl“ im Leopold Museum

Carl Spitzwegs „Kaktusliebhaber“ oder Erwin Wurms „Selbstporträt als Essiggurkerl“? Im Leopold Museum hat man ab Samstag die Möglichkeit, das Werk der beiden scheinbar ungleichen Künstler im Kontrast zu erkunden.

„Hier ging es mir um die Lächerlichkeit rund um ein bestimmtes männliches Körperteil“, erklärt Wurm seine raumgreifende Essiggurkerl-Installation. Er wollte die damit verbundene „Verzweiflung und den Wahnsinn“ thematisieren. „Außerdem heißt es, man wird irgendwann zu dem, was man isst. Und ich habe als Kind viele Essiggurkerln gegessen“, so der gebürtige Steirer. Umrahmt werden die 30 Essig- und sechs Salatgurken mit unterschiedlichsten Krümmungen von Spitzwegs Arbeiten zum Thema „Natur und Mensch“, wie etwa dem „Kaktusliebhaber“ von 1850.

Wurm zunächst wenig begeistert von Idee

Von der Idee einer gemeinsamen Ausstellung mit dem 1885 verstorbenen Biedermeier-Künstler Carl Spitzweg war Wurm anfangs wenig angetan, wie er am Freitag beim Pressegespräch zugab. „Spitzwegs Werk schien mir zu biedermeierlich und langweilig“, so der Künstler, der sich von Museumsleiter Hans-Peter Wipplinger schließlich überzeugen ließ, als ihm dieser die „evidente Koinzidenz“ in beiden Werken auseinandersetzte.

TV-Hinweis:

„Wien heute“, 25.3.2017, 19.00 Uhr, ORF2 und danach online unter tvthek.ORF.at.

Wipplinger gab der rund 130 Werke umfassenden Ausstellung den süffisanten Titel „Köstlich! Köstlich?“, in Anlehnung an den bildungsbürgerlichen, nicht nur aufs Essen bezogenen Ausruf. „Beide sind - mit einer Distanz von mehr als 130 Jahren - kritische Beobachter gesellschaftlicher Strukturen“, so der Direktor. „Beide Künstler arbeiten mit Sarkasmus und Humor als möglichem Mittel, um pessimistischen Welthaltungen zu trotzen“, ortet Wipplinger einen „Brückenschlag in die heutige Neo-Biedermeierzeit“.

Dorfidylle versus „Narrow House“

Die rund 100 Arbeiten Spitzwegs (1808-1885) sind allesamt Leihgaben, wobei der größte Teil aus dem Schäfer-Museum in Schweinfurt stammt, rund fünf Werke aus dem Milwaukee Art Museum, viele aus Privatsammlungen. Diese treten im Leopold Museum - thematisch geordnet - in verblüffenden Dialog mit den 15 ausgestellten Wurm-Arbeiten.

Den ersten Saal der Schau dominiert gleich eines der bekanntesten Werke Wurms: Sein „Narrow House“ (2010) durchmisst quer den Raum und korrespondiert mit der scheinbaren Dorfidylle in Spitzwegs Gemälden, in denen er soziale Randgruppen sowie die damals vorherrschende Überwachungsmanie thematisierte. Wurm gab auch gleich Einblicke in die Entstehungsgeschichte seines verzerrten Elternhauses: In einer Ausstellung in China sei ihm lediglich ein sehr schmaler Gang zur Verfügung gestellt worden, was ihn zunächst „gekränkt“, schließlich aber zum „Narrow House“ inspiriert habe.

Dazu stellt Wipplinger Wurms fotografische Arbeit „The artist begging for mercy“ (2002), das auch das Titelsujet der Ausstellung bildet: Erwin Wurm bettelnd auf Knien, im Mund eine Zitrone. Dem Hedonismus von Mönchen widmet man sich im zweiten Saal, in dem Wurms Riesenkartoffel „Home“ (2006) als „früheres Synonym für das Armenessen“ das Thema des „klerikalen Fressens, Saufens und Flirtens“ (Wipplinger) in Spitzwegs Arbeiten spiegelt.

Philosophische Mitmach-Skulptur

In den weiteren Sälen widmet man sich unter anderem auch dem damaligen Aufbruch zur „Erforschung der Welt“, was bei Spitzweg in der Darstellung etwa eines Schmetterlingsfängers mündete und bei Wurm in einem aufgeblähten Adorno und einem gekrümmtem Wittgenstein.

„Poeten und Bücherwürmer“ kann man in Form von Spitzwegs Gemälde eines Intellektuellen in seiner Bibliothek oder seinem - in Wien erstmals skizzierten und in der Schau in drei verschiedenen Ausformungen vorhandenen - „Der arme Poet“ von 1838 bestaunen. Der Ausstellungsbesucher hat hingegen die Möglichkeit, in Wurms „One Minute Sculpture“ namens „Take your most loved philosophers“ selbst Hand anzulegen und nach genauer Anweisung vorbereitete Bücher zwischen Arme und Beine zu klemmen.

Veranstaltungshinweis:

„Carl Spitzweg - Erwin Wurm. Köstlich! Köstlich?“, Leopold Museum, 25. März bis 19. Juni

Spitzwegs strickende Wachposten

Auch „Recht und Ordnung“ waren damals wie heute Themen des alltäglichen Lebens: Während Spitzweg strickende Wachposten zeigte, weist Wurm mit einer überdimensionalen Polizei-Kappe auf den Zustand der omnipräsenten Exekutive hin. Und so schafft es „Köstlich! Köstlich?“ gleich zwei Künstler in ein neues Licht zu rücken. Wurm hatte übrigens keinerlei Einfluss auf Auswahl und Ausstellungsgestaltung, was er scherzhaft kommentierte: „Irgendwie so, als ginge es hier um zwei tote Künstler.“

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