Jugendamt: Vom Kinderheim zum Service

Das Wiener Jugendamt wird heuer hundert Jahre alt: Im April 1917 beschloss der Gemeinderat den Aufbau einer städtischen Jugendfürsorge. Von großen Kinderheimen hat sich das Jugendamt zu einer Serviceeinrichtung entwickelt.

Pflegefamilien finden, Eltern-Kind-Zentren betreiben, Beratung anbieten bei Erziehungsfragen - das Angebot des Jugendamtes heute ist vielfältig und serviceorientiert. In der ganzen Stadt gibt es Beratungsstellen der „MAG ELF“, wie das Jugendamt heute heißt. 1.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei der „MAG ELF“ beschäftigt, rund 500 Kinder sind in ihrer Obsorge, bei Pflegeeltern oder in Jugend-Wohngemeinschaften untergebracht.

Schild Mag Elf

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1.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei der „MAG ELF“ beschäftigt

Gründung für bessere soziale Bedingungen

Gegründet wurde die Jugendfürsorge vor hundert Jahren in Zeiten großer Not. Im Vordergrund standen Maßnahmen gegen die hohe Säuglingssterblichkeit und bessere soziale und gesundheitliche Rahmenbedingungen für die Wiener Kinder. „Sie ist nicht aus einem sozialen Anspruch heraus entstanden, sondern aus einer Notwendigkeit. Kinder, die in der Nachkriegszeit noch stärker in Elend gelebt hatten, sollten unterstützt werden“, so Historikerin Gudrun Wolfsgruber gegenüber „Wien heute“.

Julius Tandler, seit 1920 Stadtrat für Wohlfahrts- und Gesundheitswesen, entwickelte ein neues Fürsorgesystem mit den Kindergärten als Ergänzung zur Familienerziehung. 1927 wurde das erste Wäschepaket für alle neugeborenen Kinder eingeführt, das bei einem Hausbesuchen der Fürsorgerinnen an Eltern übergeben wurde: „Kein Wiener Kind darf auf Zeitungspapier geboren werden”, lautete der Slogan dazu.

Kommissionsbericht zu Schloss Wilhleminenberg Missbrauchsvorwürfe

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Der systematische Missbrauch in Jugendheimen wurde in den vergangenen Jahren aufgearbeitet

Missbrauch und Gewalt in Kinderheimen

1927 wurde im Schloss Wilhelminenberg auch das Kinderheim der Stadt Wien eröffnet. Hier sollte den ärmsten Kindern Wiens wenigstens der Grundstein für die Aussicht auf eine bessere Zukunft gelegt werden. Bei einer „ungünstigen Erziehungssituation“ wurde in den 20er Jahren sehr schnell zum Mittel der Kindesabnahme, gegriffen. 1925 wurden über 6.000 Kinder ihren Eltern abgenommen.

Bis in die 1970er Jahre gab es im Schloss Wilhelminenberg und in anderen städtischen Kinderheimen systematischen Missbrauch und Gewalt an Kindern. Erst in den vergangenen Jahren wurden diese dunklen Kapitel aufgearbeitet. „Das Jugendamt hat es zum Teil selbst gewußt. Aber der Wille, es zu verändern, war nicht da, weil auch die Vorstellung einer anderen Jugendwohlfahrt nicht da war“, so Wolfsgruber.

„Wir stehen zu dieser Verantwortung und haben dafür über 53 Millionen Euro ausgegeben. Deutlich mehr als 2.000 Betroffene konnten davon profitieren“, meinte Jugendstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ).

Einrichtungen als letztes Mittel

Heute lautet das Motto der „MAG ELF“: Eltern stützen, Kinder schützen. Oberstes Ziel bei Problemfamilien ist es, Kinder bei ihren Eltern zu belassen und nur als letztes Mittel in einer Jugendamt-Einrichtung unterzubringen. Doch immer wieder kommen Kinder zu Schaden, die man bei ihren Eltern belässt. Vor einem Jahr ist das Baby einer amtsbekannt suchtkranken Mutter, einer von 200 in Wien, verhungert - mehr dazu in Mutter und Baby tot in Wohnung (wien.ORF.at; 29.2.2016).

„Es geht in hunderten Fällen gut und einmal in fünf oder zehn Jahren passiert leider etwas tragisches. Das kann aber kein Grund sein, allen 200 Müttern die Kinder abzunehmen“, so Johannes Köhler, Leiter der „MAG ELF“. 3.000 Familien kommen jedes Jahr dazu, die die „MAG ELF“ untertützt. Für alle Neugeborenen gibt es den Wickelrucksack, der Vorläufer ist das Wäschepaket aus dem Jahr 1927.

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