Jeder zweite Drittklässler kann nicht schwimmen

Kinder und Jugendliche in Wien haben immer schlechtere Schwimmkenntnisse. In der dritten Klasse Volksschule kann inzwischen jedes zweite Kind noch nicht schwimmen, zeigen Tests bei den verpflichtenden Schulschwimmkursen.

Von rund 16.000 Drittklässlern sind im vorigen Schuljahr rund 8.000 als Nichtschwimmer eingestuft worden, also ziemlich genau 50 Prozent, so die Zahlen des Wiener Stadtschulrats. 2006 lag der Anteil an Nichtschwimmern noch bei 44 Prozent, 1999 bei nur 25 Prozent. Die Zahl an Kindern, die nicht schwimmen können, steige seit rund zehn Jahren kontinuierlich, beobachtet auch Elisabeth Kellner, die die Schulschwimmkurse beim Wiener Stadtschulrat koordiniert.

Kind mit Schwimmflügerl

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Viele Kinder sind beim Schulschwimmkurs das erste Mal im Wasser

Nicht schwimmen können, das heiße grundsätzlich, weniger als 15 Meter frei schwimmen zu können, so Kellner im Interview mit wien.ORF.at. Vor 20 Jahren hätten diese Kinder in der Regel noch vom 1-m-Brett springen können und seien irgendwie an den Beckenrand gekommen, heute sei das anders. „Heute ist ein Nichtschwimmer ein Kind, das ins Wasser geht, zum ersten Mal in seinem Leben vielleicht, und gar nichts damit anfangen kann - also wirklich hineingeht und untergeht“, erzählt sie.

Alle Gesellschaftsschichten betroffen

Betroffen seien von der Entwicklung alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen: „Das geht quer durch alle soziale Schichten und alle Kulturen“, betont Kellner. „Die Eltern haben entweder keine Zeit, mit den Kindern schwimmen zu gehen, weil sie beide berufstätig sind oder man zurzeit halt vorwiegend in Erlebnisbäder geht“, lautet ihre Erklärung für die mangelnden Schwimmkenntnisse. In Erlebnisbädern würde gerutscht und im Wellenbad gespielt - aber man lerne nicht schwimmen.

Schwimmer unter Wasser

Schönbrunner Bad

Immer weniger schaffen die schwierigeren Schwimmabzeichen

In Wien gibt es seit Jahren verpflichtende Schulschwimmkurse in der dritten Klasse Volksschule - laut Stadtschulrat eine österreichweit einzigartige Regelung. Für viele Kinder reichen diese Kurse jedoch nicht. Im Vorjahr konnten nach dem Kurs beispielsweise 70 Prozent der Nichtschwimmer sicher schwimmen - die übrigen 30 Prozent jedoch nicht. Viele dieser Kinder hätten große Angst vor dem Wasser, sagt Kellner, und die Kurse würden aus acht bis zehn Einheiten zu je 35 Minuten reiner Schwimmzeit bestehen. „In dieser Zeit schafft man es nicht, allen die Angst zu nehmen.“

„Ein Kind ertrinkt leise“

Elisabeth Kellner appelliert an die Eltern, Kinder in zusätzliche Schwimmkurse zu schicken, wenn sie selbst keine Zeit hätten: „Ich sag immer als Vergleich: Es ist schön, wenn ich Ski fahren kann, wenn ich es nicht kann, wird mir nichts passieren. Wenn ich nicht schwimmen kann, werde ich ertrinken.“ Und es könne jedem passieren, dass man ins Wasser falle oder hineingestoßen werde.

Kleine Kinder könnten zudem schon in zehn Zentimeter tiefen Plantschbecken ertrinken, wenn sie etwa stürzten. Und was viele noch immer unterschätzen: „Ein Kind ertrinkt leise, es geht einfach unter und ist weg.“ Anders als Erwachsene würden sie nicht um Hilfe schreien. Schwimmreifen und -flügerl seien nur Schwimmhilfen, auch damit sollte man Kinder nicht alleine lassen, wenn sie nicht schwimmen können, betonte die Expertin, die zusätzlich auch beim Wiener Jugendrotkreuz für die Schwimmabzeichen zuständig ist.

Immer mehr Frühschwimmer statt Freischwimmer

Dass die Schwimmkenntnisse bei den Kindern und Jugendlichen sinken, zeigt sich auch bei diesen Schwimmabzeichen. Beim Jugendrotkreuz in Wien werden im Jahr jeweils rund 22.000 Abzeichen abgelegt. Die Zahl ist relativ konstant - allerdings gibt es deutliche Verschiebungen dabei, welche Abzeichen vergeben werden. Bei den leichtesten, Octopus und Frühschwimmer, gibt es Zuwächse - die schwierigeren, Frei-, Fahrten- und Allroundschwimmer, schafften dafür immer weniger.

So gab es beim Octopus-Abzeichen beim Vergleich der Saisonen 2014/15 und 2016/17 einen Zuwachs um knapp 13 Prozent, von 4.000 auf 4.500 Abzeichen - und auch beim Frühschwimmer ein Plus von rund sieben Prozent. Den Freischwimmer und den Fahrtenschwimmer schafften 2016/17 hingegen rund fünf Prozent weniger als noch zwei Jahre davor, und beim Allroundschwimmer gab es sogar um mehr als ein Fünftel weniger Abzeichen. Ähnliche Beobachtungen machte man auch beim Arbeiter-Samariter-Bund, bei dem man die Abzeichen ebenfalls ablegen kann, hieß es gegenüber wien.ORF.at.

Evelyn Kanya, wien.ORF.at

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