Jugendliche mit Videos gegen Islamismus

Der sogenannte Islamische Staat wirbt im Internet um Anhänger und versucht, Jugendliche zu radikalisieren. Neun junge Muslime aus Wien versuchen, mit Videos auf sozialen Plattformen gegenzusteuern.

Gemeinsam mit Sozialarbeitern und Islamwissenschaftern haben sie professionelle Videos gedreht, das Nachrichtenmagazin Profil hat die Jugendlichen begleitet. Das Ziel war auch, im Internet mit jungen Muslimen ins Gespräch zu kommen.

„as Salamu alaikum. Ich bin Jamal al-Khatib. Ich kenne einige Leute, die nach Syrien ausgereist sind. Und auch ich wollte noch Syrien gehen, um gegen Assad, den Tyrann, zu kämpfen“, heißt es etwa in einem Video. Gesang, Symbolik und zum Teil auch die Wortwahl gleichen denen der IS-Terrormiliz. Als das erste Video im Juli online ging, wurde es von Facebook sogar vorübergehend gesperrt. Dabei wenden sich die neun Jugendlichen, die die Texte der Erzählerfigur Jamal verfasst haben, gegen den IS.

Video zur Deradikalsierung von Jugendlichen

ORF

Die Videos wurden bisher etwa 190.000 mal angeklickt

Erfahrungen mit früheren Sympathien

Einige Jugendliche schildern, wie sie früher selbst mit dem selbsternannten Kalifat sympathisiert haben: „Ich hab schon mit dem Gedanken gespielt, dort hin zu fahren, wie ich noch jünger war. Die Amerikaner, die Russen, das Assad Regime, die irakischen Milizen, das waren damals für mich die größten Verbrecher. Der IS, das waren für mich die Leute, die sich wehren. Ich war ein kompletter Volltrottel. Aber mittlerweile sind das für mich nur Verbrecher.“

Einer der neun Jugendlichen erzählt sogar, er habe - von Predigern radikalisiert - auf den Bus gewartet, mit dem er in die Türkei und weiter nach Syrien fahren wollte. Seine Schwester, der er sich anvertraut hatte, habe den Vater alarmiert, der hat ihn im letzten Moment am Busbahnhof gestoppt. Andere hatten Freunde, die in Syrien gestorben sind oder immer noch kämpfen beim IS.

„Die sagen, sie sind Muslime und machen genau das, was im Islam verboten ist“, „Wenn ich jetzt alleine dort hinfahre und Menschen umbringe, bringt das genau gar nichts, weil ich bekämpfe einen Krieg mit Krieg, und das wird niemals Frieden bringen.“ „Krieg machen kann jeder. Dann stirbst Du und glaubst, du kommst ins Paradies. Wie leicht willst Du Dein Paradies dann haben? Das sollte man sich überlegen.“, sagten Jugendliche im Ö1-Morgenjournal.

Kampf mit sich selbst als Boxkampf

Jamal, die Figur in den Videos, argumentiert mit Suren und Argumenten aus dem Koran: „Jihad bedeutet übersetzt Anstrengung, um ein besserer Mensch zu werden.“ In einem Video wird der kleine, kriegerische Jihad dem großen Jihad gegenüberstellt: „Das ist der Jihad mit sich selber. Dass man selbst ein guter Mensch werden muss, dass man jeden respektieren soll, sich benehmen soll, egal wo man ist, dass man sich anpassen soll, wo man ist. Man sagt ja, dass man erst vor der eigenen Türe kehren soll. Das ist der Jihad Nafs, um ein guter Mensch zu sein.“

Der große Kampf mit sich selbst wird im Video durch einen Boxkampf mit einem Doppelgänger dargestellt. Das Video bietet auch Handlungsalternativen - Helfen statt Krieg führen: „Zum Beispiel Sachen spenden oder Geld, für die Leute, die geflüchtet sind, bei so was musst Du helfen!“

„Online-Streetwork“ mit 190.000 Klicks

Rund 190.000 mal wurden die Videos angeklickt, das meistgesehene mehr als 60.000 mal. Und in Facebook-Chats haben die Jugendlichen mit Sozialarbeitern Überzeugungsarbeit geleistet, so Mitinitiator Fabian Reicher.

„Ich würde das sogar als Online-Streetwork bezeichnen, weil online haben leider extremistische Gruppierungen die Dominanz. Dadurch, dass wir die Videos geschaltet haben, sind die Jugendlichen mit ihren Inhalten in diese Blasen vorgedrungen, und natürlich haben wir da viel Kritik bekommen. Indem wir aber freundlich geblieben sind und gesagt haben, es kann doch auch anders sein, dadurch haben wir, glaub ich, schon viel bewegt“, meinte Reicher im Ö1-Morgenjournal.

Die mediale Berichterstattung könnte das Interesse steigern. Wenn es Förderungen für ein zweites professionelles Projekt gibt, sollen Videos mit jungen Musliminnen gedreht werden.

Experte: Kämpfer im Untergrund

Am Boden befinde sich zwar der sogenannte Islamische Staat auf dem Rückzug, aber es handle sich um eine Transformation - die Kämpfer würden in den Untergrund gehen, damit seien Anti-Radikalisierungs-Videos weiterhin aktuell und notwendig, so Rüdiger Lohlker, Professor für Arabistik und Islam-Wissenschafter an der Uni Wien.

Die Jugendlichen in den Videos sprechen die Sprache jener Jugendlichen, die angesprochen werden sollen und seien keine Kopfgeburt. Die Zugriffszahlen würden zeigen, dass das Interesse da sei, so Lohlker im Ö1-Morgenjournal.

Links: