Novemberpogrome: Gedenkmarsch durch Wien

Zum 79. Mal jähren sich heuer die Novemberpogrome von 1938 gegen die jüdische Bevölkerung. Ihrer gedacht wurde mit einer Mahnwache und einem Marsch, der aufgrund antisemitischer Postings auch am Wiener Juridicum vorbeizog.

Heute oft immer noch mit dem verharmlosenden Nazi-Ausdruck „Reichskristallnacht“ bezeichnet, bedeuteten die Pogrome für viele Historiker den Beginn des Holocaust, der gezielten Auslöschung der jüdischen Bevölkerung. In Österreich wurden in der Nacht auf den 10. November 1938 30 Juden getötet, 7.800 verhaftet und aus Wien rund 4.000 sofort ins Konzentrationslager Dachau deportiert. Im gesamten „Deutschen Reich“ wurden Tausende Synagogen und Geschäfte niedergebrannt, 91 Personen getötet, 20.000 verhaftet.

Kultusgemeinde rief zu Gedenkmarsch auf

Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) und die jüdische Jugend Wiens riefen für Donnerstag deshalb zum Gedenkmarsch „Light of Hope“ auf. Gestartet wurde vor der Kultusgemeinde in der Seitenstettengasse, danach ging es zum Juridicum, wo erst heuer antisemitische WhatsApp-Postings von Studierendenvertretern der ÖVP-nahen AktionsGemeinschaft für Entsetzen und Kritik gesorgt hatten - mehr dazu in Empörung über Antisemitismus in Studentenchat.

Mahnmal am Judenplatz

APA/Hans Klaus Techt

Die Schlusskundgebung findet auf dem Judenplatz statt

Die Schlusskundgebung fand vor dem Schoah-Mahnmal auf dem Judenplatz statt, wo unter anderen der Dekan und der Rektor des Juridicums redeten und gemeinsam mit Studierenden ein Zeichen gegen Antisemitismus setzten. Gleichzeitig fand auf dem Areal des früheren Aspangbahnhofs, von wo zwischen 1939 und 1942 Zehntausende Juden in Vernichtungslager deportiert wurden, eine Mahnwache anlässlich der Novemberpogrome statt.

Mauthausen Komitee warnt vor FPÖ

Das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ) warnte angesichts des Jahrestags der Novemberpogrome und der konstituierenden Nationalratssitzung am Donnerstag vor neuer Gefahr für Österreich und ortet diese vor allem in der FPÖ. „Das Datum der Konstituierung des Nationalrats könnte ein Symbol dafür sein, dass unsere Republik auf der bedingungslosen Ablehnung des Nationalsozialismus und auf der Erinnerung an das Leid seiner Opfer beruht“, sagte Komitee-Vorsitzender Willi Mernyi.

„Die FPÖ sorgt allerdings für eine ganz andere Symbolik: Auf ihrer Liste ziehen so viele Mitglieder deutschnationaler und rechtsextremer Verbindungen in den Nationalrat ein wie noch nie.“ Die ewiggestrigen Umtriebe der verschiedenen Burschenschaften und Corps seien bestens dokumentiert. „Ein größerer Gegensatz als zwischen dem Jahrestag der ‚Reichspogromnacht‘ und dem Einzug zahlreicher Vertreter rechtsextremer Verbindungen in den Nationalrat ist nicht denkbar. Noch schlimmer wäre, wenn solche Leute in Regierungsverantwortung gelangen. Leider zeichnet sich das ab“, meinte Mernyi.

42 Synagogen in Brand gesteckt

Der Begriff Pogrom kommt aus dem Russischen und bedeutet „Verwüstung“ und „Unwetter“. Die NS-Propaganda versuchte, die Aktion als spontane Antwort der Bevölkerung auf den Tod des deutschen Diplomaten Ernst von Rath auszugeben. Dieser war am 7. November 1938 in Paris von einem 17-jährigen Juden namens Herschel Grynszpan niedergeschossen worden und starb später. Grynszpan hatte ursprünglich ein Attentat auf den deutschen Botschafter in Paris geplant, mit dem er gegen die Abschiebung Tausender polnischstämmiger Juden protestieren wollte.

Statt des Botschafters trafen seine Schüsse jedoch den jungen Botschaftssekretär Rath. Für die NS-Führung ein willkommener Anlass, die Vorgangsweise gegen die jüdische Bevölkerung unter dem Vorwand des „Zorns der kochenden Volksseele“ zu verschärfen. Die gezielten Ausschreitungen nach der Aktivierung der SS-Ortsgruppen beschränkten sich allerdings nicht auf eine Nacht, sondern dauerten mehrere Tage an. Allein im „Kreis Wien I“ wurden 1.950 Wohnungen zwangsgeräumt und 42 Synagogen in Brand gesteckt und verwüstet. Hunderte Juden begingen Suizid.

Die Nationalsozialisten erlegten den Juden nach dem Pogrom eine „Sühneabgabe“ von einer Milliarde Reichsmark auf. Sie wurde später noch um 25 Prozent erhöht und war binnen eines Jahres zu zahlen. Für die Schäden musste die jüdische Bevölkerung ebenfalls aufkommen.