Angst mit virtueller Realität bekämpfen

Das Wiener Phobienzentrum Phobius schlägt neue Wege der Angsttherapie ein. Als erstes im deutschsprachigen Raum hat sich das Unternehmen auf die Behandlung von Phobien mit Hilfe von virtueller Realität spezialisiert.

Der Lift fährt eine ganze Weile lang aufwärts, hinauf zur Spitze des Wolkenkratzers. Der Aufzug hält, und die Tür öffnet sich. Doch statt eines Gangs nur gähnende Leere zwischen Schluchten aus Glas und Stahl. Aus der Liftkabine ragt eine Holzplanke hinaus ins Nichts. Ein Blick nach unten, wo Autos, klein wie Ameisen, vorbeifahren, lässt die Hände schwitzen. Dann die Stimme eines unsichtbaren Sprechers „Wenn Sie bereit sind, machen Sie Ihren ersten Schritt auf die Planke.“

Pressebilder von Phobius, zur Angsttherapie mit VR Brillen

Toast

Virtuell erschaffenes Szenario für die Behandlung von Höhenangst

Konfrontieren, um zu kontrollieren

Alles nicht real: Phobius verbindet die seit den 60er Jahren bekannte Konfrontationstherapie mit der Technik der virtuellen Realität. Phobien entstehen durch ein langfristiges Vermeidungsverhalten gegenüber dem angstbesetzten Gegenstand, erklären die Psychologen Christian Dingemann und Johannes Lanzinger, Gründer von Phobius.

Der Körper reagiert mit Stress auf gewisse Dinge, bei der Arachnophobie beispielsweise auf Spinnen. Um diesem Stress nicht mehr ausgesetzt zu sein, vermeidet es der Mensch mit Spinnenangst, sich in Situationen zu begeben, in denen er auf Spinnen treffen könnte. Hält dieser Vermeidungszustand für eine lange Dauer an, manifestiert sich die Phobie.

Ziel der Konfrontations- oder auch Expositionstherapie ist es, Phobiker mit ihren Ängsten zu konfrontieren. Durch diese Konfrontation lernen die Betroffenen, dass ihre übermäßige Angst nicht berechtigt ist, und gewinnen die Kontrolle über die Situation, erklären die Psychologen.

Pressebilder zur Angsttherapie mit VR Brillen

Phobius

Die Angstreize werden im Laufe der Behandlung gesteigert

Auf den Stufen der Angsthierarchie

„Natürlich sieht sich der Patient nicht sofort in der ersten Einheit einer, um beim Beispiel zu bleiben, Riesenspinne gegenüber“, betont Lanzinger. Zur Behandlung gehöre nicht nur die Konfrontation mit der Angst, sondern zuallererst das Erlernen von Methoden, um mit dieser Angst besser umzugehen. Dabei handle es sich sowohl um mentale als auch um körperliche Techniken.

Hat der Patient diese Techniken gelernt, wird er anfangs nur mit einem schwachen Angstreiz konfrontiert. Ist er sich auf dieser Stufe sicher, geht die Therapie einen Schritt weiter. Psychologen sprechen bei dieser Ordnung von angsteinflößenden Stimuli von der sogenannten Angsthierarchie.

Realität als Baukasten

„Das gute an der VR-Technik ist, dass sie genauso gut zur Behandlung der Ängste funktioniert wie reale Reize. Wenn nicht sogar besser“, erklärt Dingemann. Das wurde bereits in zahlreichen Studien belegt. Die Immersion, wie der durch die virtuelle Realität erzeugte Effekt genannt wird, welcher die künstliche Umgebung als real erscheinen lässt, ist so stark, dass der Körper dieselben Symptome wie in der Wirklichkeit zeigt. Der Vorteil, so die Psychologen, sei die Kontrollierbarkeit der Umgebung.

Bei einem Patienten mit Vortragsangst, kann Phobius zum Beispiel eine Situation an einem virtuellen Pult erschaffen, in welcher im Hintergrund eine tatsächliche Präsentation des Patienten eingespielt wird. Auch das Verhalten des Publikums kann programmiert werden. Mal sehen sie den Vortragenden gebannt an, mal reden welche untereinander, und wenn es der Psychologe wünscht, kann auch ein Zuhörer aufstehen und einen Zwischenruf einwerfen.

Johannes Lanzinger, Patricia Zaccarini und Christian Dingemann, Gründer von Phobius

Phobius

Johannes Lanzinger, Patricia Zaccarini und Christian Dingemann haben zusammen Phobius gegründet

Von Wien bis Sydney

Nach einer längeren Vorlaufzeit, die durch intensive Studien und Recherche geprägt war, wurde Phobius 2017 in Wien gegründet. Obwohl sie das erste vergleichbare Phobiezentrum im deutschsprachigen Raum sind, stehen sie im Austausch mit Kliniken rund um den Globus. „Der angloamerikanische Raum ist auf diesem Gebiet schon deutlich weiter“, sagt Dingemann. In enger Kooperation stehe Phobius vor allem auch mit der Sydney Phobia Clinic, mit welcher man sich im Rahmen der International Phobia Association über technische und medizinische Fortschritte austausche.

Im Moment bietet Phobius Behandlungen für 14 der gängigsten Ängste an. Dieses Angebot soll stetig erweitert werden, wobei man sich vor allem nach Patientenanfragen richten wird.

Benjamin Mayer, wien.ORF.at

Link

Phobius - Phobie Zentrum Wien