Jüdischer Friedhof: 130.000 für Luftaufnahmen

Einige Gräber am Jüdischen Friedhof in Währing sollten heuer endlich saniert werden. Ein Großteil des dafür vorhandenen Geldes wurde jedoch für eine digitale Karte aufgebraucht, die nicht einmal den gesamten Friedhof erfasst.

Die Restauratoren am Jüdischen Friedhof in Währing kommen nicht voran. Sie müssen sich durch dichte Vegetation kämpfen, Holunder- und Brombeersträucher. Und sie müssen die Gräber nummerieren. Das ist schwierig. Einige Grabmäler sind gut erhalten, andere von umgestürzten Bäumen zerstört, zertreten oder zugewachsen. Grabplatten liegen kreuz und quer. Bevor hier ein Grab saniert werden kann, „müssen wir alles neu erfassen, freilegen und durchnummerieren“, sagt Martin Eck.

Er ist Geschäftsführer der Jüdischen Friedhofssanierungs- und Verwaltungs-GmbH (JFS). Die JFS ist Teil der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG). Auf Basis des Washingtoner Abkommens von 2001 steht der Kultusgemeinde pro Jahr eine Million Euro für die Sanierung und Renovierung Jüdischer Friedhöfe vom Bund zu. 2010 wurde dafür nach zähen Verhandlungen ein Nationalfonds eingerichtet. Für das Großprojekt Währing ist die Summe aber zu niedrig. Eck stellt fest: „Wir müssen uns um 64 jüdische Friedhöfe kümmern, nicht nur um diesen.“

Budget für 2018 beinahe aufgebraucht

Eigentlich sollte der Friedhof heuer in Ansätzen saniert werden. Das wurde vor etwa einem Jahr beschlossen - mehr dazu in Jüdischer Friedhof: Vorbereitung für Sanierung. Davon ist in der dichten Wildnis wenig zu sehen. Lediglich neue Nummernschilder hängen an einigen Grabsteinen. Die Kultusgemeinde hat von Teilen des Friedhofareals Luftbilder von der Stadt Wien anfertigen lassen. Eine Softwarefirma kreierte mit den Daten eine digitale Karte. Diese Maßnahme kostete laut Eck mindestens 130.000 Euro.

Das Budget für den Währinger Friedhof liegt 2018 bei 250.000 Euro. Das Geld dürfte wohl aufgebraucht sein, bevor nur ein einziges Grab saniert wurde. Für die Sanierung des gesamten Friedhofes wären laut diversen Schätzungen 30 bis 40 Millionen Euro notwendig. Die Hälfte der jährlichen Fördermillion für die Friedhöfe muss die Kultusgemeinde selbst aufbringen, nur dann schüttet die Republik Förderungen aus - was laut Eck aber bisher immer möglich war.

In Anbetracht der hohen Summe wäre es klüger, zuerst einen kleineren Teil zu sanieren, meint Tina Walzer. Seit 1995 kümmert sich die Historikerin um den Friedhof, macht Führungen, leitet Freiwilligeninitiativen. Sie hat zudem einen Verein für die Nachkommen der Familien ins Leben gerufen, die hier ruhen. Der Verein zählt 300 Familien als Mitglieder.

Jüdischer Friedhof Währing, Tina Walzer

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Die Historikerin Tina Walzer kümmert sich bereits seit 1995 um den Friedhof

Datenbank bereits vorhanden

Zudem hat Walzer schon vor Jahren eine Datenbank erstellt, in der jedes einzelne Grab verzeichnet, bebildert und durchnummeriert sein soll. Selbst die Gräber, die entweder nicht mehr existieren, verschüttet wurden oder deren schwere Grabplatten in der Wildnis verrotten. „Es ist schwierig, hier ein klares System zu erstellen“, sagt sie: „Aber meine Datenbank ist vollständig. Es ist halt nur eine altmodische Excel-Tabelle.“ Viele Gräber seien auf den Luftaufnahmen gar nicht zu sehen.

Walzer wäre für ein „Probeeck“, in dem ein Teil des Friedhofes renoviert wird. Den ganzen Friedhof könne sowieso niemand sanieren. „Eine Mischung aus Friedhof und Park wäre sinnvoll“, meinte sie. Die Kultusgemeinde hat etwas andere Pläne. Sie will sich um den „starken Bewuchs“ kümmern, ein eigenes System erstellen und umgefallene Grabplatten wieder aufstellen. „Wir haben versucht, die Daten von Frau Walzer mit unserem System zu verbinden. Es hat nicht funktioniert“, beteuert Eck und spricht von einem „riesigen Puzzle“.

Freiwillige Initiativen überlebenswichtig

In einem Punkt sind sich beide Seiten einig: Priorität hat, dass der Friedhof wieder begehbar wird. Dass regelmäßig die Bäume geschnitten werden, dass Grabsteine gesichert werden, die umfallen könnten, dass unsichtbare Löcher im Boden gefüllt werden, bevor sich jemand ein Bein bricht. Die Kultusgemeinde sieht sich auch in einer „historischen Verantwortung“.

Bis 1898 wurden auf dem Friedhof 30.000 Personen begraben. Der letzte Friedhofsgärtner hieß Theodor Schreiber. Die Nazis deportierten und töteten ihn 1938. Ohne den Einsatz vieler Freiwilliger wäre der Zustand des Friedhofes heute noch schlimmer, als er ohnehin ist. „In den letzten zehn Jahren wäre sonst nichts geschehen“, sagt Walzer und bedankt sich bei den vielen Initiativen, die unter anderem von der Grünen Jennifer Kickert angeführt werden.

Jüdischer Friedhof Währing

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Geschändete Gräber stehen teilweise immer noch offen

Mindestens 30 Millionen für Gesamtsanierung

Ein Bereich des Friedhofs ist verloren: Dort steht seit 1960 nämlich ein Hochhaus. Die Nazis wollten in diesem Bereich eigentlich einen Bunker errichten. Deshalb gruben sie einen Teil des Friedhofs ab. Die Grabsteine wurden einfach auf den anliegenden Teil des Friedhofs geworfen, wo sie bis heute verwildern. Die Nazis bauten den Bunker dann doch nicht, dafür errichtete die Wiener Stadtregierung auf dem freien Grundstück später das Hochhaus.

Dort, wo die Grabsteine hingeschmissen wurden, könne die Zerstörung nicht mehr rückgängig gemacht werden, sagt Eck. Walzer gibt ihm recht: „Am klügsten wäre hier eine Gedenktafel, die auf die Verbrechen der NS-Zeit hinweist.“ Sie erklärt gegenüber „Wien heute“ mit lexikalischem Wissen das Aussehen der Grabsteine, die aus unterschiedlichen, jüdischen Kulturen stammen. Sie weiß, wo dieser Schriftsteller oder jener Architekt begraben liegt, wo die Gründer der Ottakringer Brauerei ruhen.

Geschändete Gräber stehen noch immer offen

Oft spricht Walzer auch über die dunkle Geschichte des Friedhofs. Er diente als Experimentierfeld für die „Rassenkunde“ der Nazis. Etwa 400 Leichen wurden während der NS-Zeit exhumiert und in das Naturhistorische Museum gebracht. Die Exhumierungsprotokolle zeigen ein grausames Bild. Teils minutiös beschrieben sind die Leichenschändungen, wie Fleisch von den Knochen abgetrennt wurde, das Entfernen von Goldzähnen.

Tatsächlich stehen einige der geschändeten Gräber noch immer offen, zeigen metertiefe, schwarze Schlunde. Selbst in den vergangenen Jahren kamen Räuber über einen anliegenden Zaun, stahlen Grabtafeln. „Besucher sind meistens fasziniert von den Grabmälern, aber auch angewidert von den anderen Umständen“, berichtet Walzer.

Neue Lösungen werden dringend gesucht

Nun, wo eine Lösung angekündigt wurde, weiß niemand so recht, wohin die Reise geht. „Unsere größten Probleme sind der Bewuchs und die Unordnung. Niemand kann eine seriöse Prognose stellen, wie viel welches Vorhaben kosten wird“, analysiert Eck. Walzer will trotz diverser Meinungsverschiedenheiten weiterhin auf dem Friedhof tätig sein: „Dieser Ort spiegelt das Leben einer untergegangenen Welt wider.“

Für den 25. Mai ist ein „runder Tisch“ geplant, an dem Kultusgemeinde, Stadt, Restauratoren und auch Walzer teilnehmen sollen. Eck will als Moderator auftreten. Er wolle „historische Theorie und operative Praxis“ in Einklang bringen. Der Währinger Friedhof sei der Kultusgemeinde ein Anliegen, „aber wir haben so viele andere Projekte. Uns fehlt einfach das Geld“, sagt Eck und nennt „Patenschaften für Gräber“ als mögliche Finanzierungsquelle.

Michael Hammerl, wien.ORF.at

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