Maturanten mangelt es an Mathekenntnissen

Ein Viertel der Wiener Schüler sind bei der vergangenen Mathematikmatura schriftlich durchgefallen. Deshalb wird die Zentralmatura evaluiert. Doch für MINT-Studien sind viele Maturanten jetzt schon unzureichend ausgebildet.

„Die Mathematik möchte niemandem Angst machen.“ Michael Eichmair kann das leicht sagen. Er promovierte 2008 an der Universität Stanford in Kalifornien, unterrichtete anschließend am MIT und der ETH Zürich. 2014 wurde er im Alter von 30 als Professor an die Universität Wien berufen, wo er seit 2015 lehrt und forscht. Bei vielen Schülerinnen und Schülern an Österreichs Schulen dominiert aber das Gefühl der Angst, wenn es um Mathematik geht.

Universität Wien Mathematik Vorbereitung

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Studierende lernen, wie sie mit Schülern Gespräche führen

Hohe Drop-out-Raten

In seinem Büro im zehnten Stock des Institutsgebäudes für Wirtschaftswissenschaften und Mathematik am Oskar-Morgenstern-Platz am Alsergrund plant Eichmair deswegen eine Revolution im Kleinen. Mit dem Programm „Mathematik macht Freu(n)de“ will er einerseits Schülerinnen und Schülern an AHS und BHS den Spaß an der Mathematik vermitteln, andererseits bietet er einen Vorkurs für angehende Studierende von MINT-Fächern an. Damit die das Studium auch schaffen.

Dabei ist die Unterstützung der Schülerinnen und Schüler bzw. der Studierenden vor allem ein positiver Nebeneffekt. Primär geht es für den Mathematiker um die Unterstützung der Lehramtsstudierenden: „Es gibt eine Lehrveranstaltung im Wahlfach, die angereichert ist mit sozialen Komponenten. Wir erarbeiten eigene Materialien zum Schulgebrauch, die frei zur Verfügung stehen. Alles immer mit dem Ziel, dass die Studierenden ihre Ausbildung vertiefen.“

Definitionsfrage

MINT-Fächer - kurz für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik - sind unter anderem durch die Internationale Standardklassifikation für das Bildungswesen aus dem Jahr 1999 (ISCED-F-1999) der OECD definiert.

An der Universität Wien fangen jährlich etwa 3.800 Bachelor-Studierende in MINT-Fächern an, hat die Universität für wien.ORF.at erhoben. Die meisten davon in Biologie (im Studienjahr 2016/17 waren es 987), die wenigsten in Informatik (2016/17: 208). Die Drop-out-Raten in diesen Studienrichtungen sind teilweise enorm. In Chemie haben 2016/17 etwa insgesamt 807 den Bachelor angefangen, ihren Abschluss haben im selben Jahr lediglich 75 gemacht.

MINT-Studien an der Uni Wien

Studium Anfänger davon Lehramt Absolventen
Biologie 987 260 263
Chemie 807 87 75
Erdwissenschaften, Meteorologie und Astronomie 344 83 68
Ernährungswissenschaften 531 52 166
Geographie 287 213 63
Mathematik 306 255 151
Physik 325 81 106
(Wirtschafts)Informatik 208 59 129

Zahlen für das Studienjahr 2016/17 Quelle: Universität Wien

Michael Eichmair

Privat

Eichmair sieht zwei Probleme: Den Technologieeinsatz und die Zentralmatura

Bruch- und Termrechnen als Problem

Auch in Mathematik schaffen viele die sogenannte Studieneingangs- und Orientierungsphase - kurz StEOP - nicht, sagt Eichmair. Es scheitert oft an grundlegenden Dingen: „Es ist schwierig für uns, wenn junge Menschen bei uns ankommen und wir müssen tatsächlich mit Bruch- und Termrechnen beginnen.“ Auch der überbordende Technologieeinsatz an AHS sei ein Problem für Hochschulen.

Vorkurs für Studienanfänger

Interessierte Studienanfängerinnen und -anfänger können sich hier noch bis 31. August für den Vorkurs anmelden.

Damit nähert sich Eichmair jenem Thema, das seit seiner Einführung für größtenteils negative Schlagzeilen gesorgt hat: Die Zentralmatura. Österreichs Schülerinnen und Schüler müssen seit 2015 an AHS und seit 2016 an BHS die teilstandardisierte Reifeprüfung ablegen. In der schriftlichen Mathematikmatura müssen dazu zwei Aufgabentypen gelöst werden.

Typ-1-Aufgaben konzentrieren sich auf die „Grundkompetenzen“. Dabei müssen die Schülerinnen und Schüler Grundwissen nachweisen. Typ-2-Aufgaben vernetzen die Grundkompetenzen mit definierten Kontexten und Anwendungsbereichen. Jahr für Jahr scheitern zahlreiche Schülerinnen und Schüler daran, im Frühjahr 2018 musste mehr als ein Viertel aus Wien eine mündliche Kompensationsprüfung machen. Das österreichweit schlechte Ergebnis veranlasste Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) dazu, die Matura evaluieren zu lassen - mehr dazu in Wien letzter bei Mathematikmatura.

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Die Studierenden spielen einen Unterrichtsablauf durch, inklusive Klassenbuch

Evaluierung bis Herbst

Eine letzte Hoffnung für die Zentralmatura? Eichmair seufzt: „Ich würde einfach empfehlen, dass man sich umschaut in der Welt. Wir sind ja nicht die einzigen, die vor dieser Herausforderung stehen.“ Auf Anfrage von wien.ORF.at heißt es aus dem Bildungsministerium, dass die zuständige Arbeitsgruppe sich bereits „intensiv mit den Konzepten, den Kompetenzkatalogen und dem Beurteilungsschema auseinandergesetzt habe“.

Mit Ergebnissen sei im Herbst zu rechnen, auch Anpassungen für den Haupttermin 2019 sind dabei möglich. Nur falls es Änderungen für den Unterricht geben sollte, werden die „so bald wie möglich“ bekanntgegeben. Für die Lehrerinnen und Lehrer sei das trotzdem zu spät, meint Eichmair. „Es muss legitim sein, dass wir den bestehenden Entwurf der Zentralmatura auch in Frage stellen.“

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Die Drop-out-Raten in Mathematik liegen bei ungefähr 50 Prozent

Üben für den Lehrberuf

Im zwölften Stock des Universitätsgebäudes am Oskar-Morgenstern-Platz - direkt unter dem Dach mit Rundumblick über Wien - üben Studierende inzwischen den Unterrichtsablauf. Ein Student steht an der Tafel, die übrigen zwanzig sitzen in Reihen und dürfen Schüler spielen. Bei ihnen setzt Eichmair an mit seiner kleinen Revolution: „Sie bereiten sich mit großem Ernst darauf vor, nicht irgendwelche Lehrer zu werden, sondern die besten, die sie sein können.“

Mit ihnen wird der theoretische Mathematiker demnächst wieder die Praxis üben. Im „Vorkurs Mathematik“ sollen die neuen Studierenden fit gemacht werden für das Studium. „Es ist im intimsten nationalen Interesse, dass unsere Schülerinnen und Schüler die Studierfähigkeit erreichen.“

Matthias Lang, wien.ORF.at

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