Als die Kühe aus Wien verschwanden

Die Milch aus dem Supermarkt stammt heute nicht mehr aus Wien. Nach dem Großteil der Kühe sind auch die Molkereien aus der Stadt verschwunden. Die letzte Milch wurde in Wien im Jahr 1997 verarbeitet.

Heute erinnert nur mehr wenig an die großen Molkereibetriebe Wiens, wie etwa jenen in der Molkereistraße in der Leopoldstadt oder die ehemalige Alpenmilchzentrale auf der Wieden. In der Molkereistraße stand ab 1902 die größte Molkerei der Stadt, die Wiener Molkerei (WIMO). Gegründet wurde die WIMO bereits 1880. Damals befand sich die Firma noch in der heutigen Radetzkystraße im Bezirk Landstraße.

Wurden zu Beginn jährlich zwei Millionen Liter Milch verarbeitet, waren es 1900 bereits zwölf Millionen Liter. Mit wachsender Bevölkerung stieg auch der Bedarf an Milch und Milchprodukten. Ein Umzug der WIMO auf ein größeres Areal wurde notwendig. Das neue, größere Gebäude bot deshalb rund 10.000 Quadratmeter Fläche zur Verarbeitung von Milch zu Vollmilch, Schlagobers und Butter.

„Wer nicht Weinbauer war, hat Milch verarbeitet“

Die WIMO erhielt ihre Milch hauptsächlich aus Schladming, verkauft wurden die Produkte dann an rund 150 Wiener Verkaufsstandorten, die der WIMO gehörten."Es gab große Abmelkbetriebe am Land. Von dort wurde die Milch dann in die Molkereien geliefert", sagt der Geschäftsführer der Vereinigung Österreichischer Milchverarbeiter, Johann Költringer.

Die Milch kam damals nicht nur vom Land: Mit der Eingemeindung einiger Vororte und Vorstädte 1850 und 1890 gehörten neben weiteren Molkereien auch einige Milchmeiereien - bäuerliche Milchproduzenten mit eigenen Kühen - zu Wien. Denn vor allem in den Vorstädten, wie etwa Währing oder Gersthof, betrieb die Bevölkerung Milchwirtschaft. „Gersthof war damals zum Beispiel ein kleiner selbstständiger Ort. Da war alles sehr grün. Wer nicht Weinbauer war, hat hier Milch verarbeitet“, sagt Költringer.

Partik verkaufte 1913 täglich 9.000 Liter Milch

Im Bezirksmuseum Währing erinnert heute eine Tafel an die Molkerei Anton Partik. 1906 wurde der Betrieb in Gersthof gegründet, das Gebäude in der Herbeckstraße ist noch erhalten. 1913 kaufte Partik eine Milchhandlung in Ottakring dazu, wo er nur ein Jahr später bereits 9.000 Liter Milch pro Tag verkauft. Ausgeliefert wurde die Milch mit Pritschenwagen, die von Pferden gezogen wurden.

Das Geschäft mit der Milch lief gut für Partik. Gemeinsam mit Johann Trösch, der bereits die Wiedner Molkerei leitete, hat Partik auch die Marke Alpenmilchzentrale, eine Verkaufs- und Verarbeitungsstelle auf der Wieden, übernommen.

Schild Alpenmilch Zentrale

ORF

Schriftzug erinnert noch an die Alpenmilchzentrale

Einschränkungen zur Zeit des Zweiten Weltkrieges

Eine Studie der Hochschule für Bodenkultur aus dem Jahr 1935 spricht von 223 Milchmeiern in Wien. Insgesamt gab es demnach 3.500 Milchkühe, pro Kuh versuchten die Besitzer täglich sechs bis acht Liter zu bekommen.

Der Zweite Weltkrieg brachte für die Milchwirtschaft große Einschränkungen. „Bahnlinien, die zum Transport der Milch benötigt wurden, waren bombardiert. Von den Bauernhöfen wurden die Leute in den Krieg eingezogen und es fehlten die Arbeitskräfte“, so Költringer. Von den rund 10.000 Wiener Milchverkaufsstellen blieben nach dem Zweiten Weltkrieg nur 1.700 übrig, von den rund 150 Molkereien nur zehn.

Einer der Milchbauern, die den Krieg überlebt haben, war Leopold Rosenmayr. Sein Hof in der Schalkgasse in Währing wurde 1911 von Rosenmayrs Eltern gegründet. Rosenmayr zählte zu den Milchmeiern, er besaß also eigene Kühe. Das war vor allem 1945/46 für die Bevölkerung von Vorteil, als keine Michlieferungen aus dem Umland kamen.

Ein Währinger als „Retter vieler Kleinkinder“

Rosenmayr gilt heute als „Retter vieler Kleinkinder“, heißt es auf einer Schautafel im Bezirksmuseum Währing. Er lieferte die Milch seiner Kühe der Ignaz-Semmelweis-Frauenklinik. Zusätzliche organisierte er gemeinsam mit dem damaligen Stadtrat Franz Jonas (SPÖ) eigene Züge, die aus dem Weinviertel Milch nach Gersthof brachten.

Milchbauer Leopold Rosenmayr

Bezirksmuseum Währing

Leopold Rosenmayr 1915 mit seiner Familie und zwei seiner Kühe

In den Jahrzehnten nach Kriegsende verlor die Haltung der Milchkühe in Wien aufgrund technischer Neuerungen an Bedeutung. „Früher war die Milch noch sehr verderblich, da war es notwendig, auch in der Nähe zu produzieren. Nach dem Krieg hat sich auch die Organisation geändert. Heute haben wir bessere Technologien und Verpackungen, um die Milch frisch zu halten“, sagt Költringer.

Die kleineren Betriebe wurden zunehmend stillgelegt oder fusioniert. Die Alpenmilchzentrale stellte etwa 1990 ihren Betrieb ein. Heute ist in dem Gebäude „Das Lokal im Hof“. Der Schriftzug an der Hausmauer erinnert noch an die einst bekannte Marke.

„Keine Möglichkeit mehr, Milchkühe zu halten“

Andere Betriebe wurden von der Niederösterreichischen Molkerei (NÖM) – die bereits 1898 in Wien gegründet worden war - aufgekauft. Darunter war 1970 etwa die Molkerei Anton Partik. Auch die WIMO wurde 1992 von der NÖM übernommen. Mit dem Umzug der NÖM 1997 vom Standort am Höchstädtplatz in der Brigittenau nach Baden, verließ schließlich die letzte Molkerei die Stadt.

„Es war damals lange Zeit eine Überlegung, die Wiener Werke am Stadtrand zu vereinigen, weil Wien ja doch ein großes Verbrauchszentrum ist. Aber in der Stadt ist Produktion logistisch immer schwierig“, sagt Költringer. „In Wien gibt es die Fläche nicht mehr, bis zu den Stadträndern hinaus gäbe es keine Möglichkeit mehr, Milchkühe zu halten.“ Molkereibetriebe finde man mittlerweile eher am Land, die einzigen Landeshauptstädte mit großen Molkereien sind heute Salzburg und Klagenfurt.

2016 gab es in Wien laut dem Statistischen Jahrbuch der Stadt insgesamt noch 95 Rinder - mehr dazu in 95 Rinder in Wien: Neues Statistisches Jahrbuch. Auch wenn nicht erfasst ist, wie viele davon Milchkühe waren, steht fest: Die Milchproduktion in Wien ist im Bundesländervergleich verschwindend gering.

Melanie Gerges, wien.ORF.at

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