Geschäfte mit Geschichte vor der Linse

„Schallplatten Brigitte“, „Feinkost Böhle“ oder „Pelzmodelle Urschel“: Viele alte Geschäfte sind in den vergangenen Jahren verschwunden. Anschauen kann man sich trotzdem noch - auf den Bildern von Philipp Graf und Martin Frey.

Die beiden Hobbyfotografen dokumentieren seit Jahren schicke wie außergewöhnliche Shop-Portale. „Wir haben 2009 begonnen“, erzählte Frey: „Die Jahre davor hat ein rasantes Verschwinden alter Geschäfte eingesetzt. Ganze Einkaufsstraßen wie die Lerchenfelder Straße oder die Margaretenstraße waren plötzlich leer.“ Dann seien Dönerbuden, Handyshops und Glücksspiellokale gekommen. Also begann das Duo, Portale mit außergewöhnlichem Schriftzug, liebevoller Auslagengestaltung oder veritablem Skurrilitätsfaktor („Safari Shop“) abzulichten - immer frontal und ohne Menschen.

Geschäfte mit Geschichte

APA/Martin Frey

Die „Schallplatten Brigitte“ fiel dem Hauptbahnhof „zum Opfer“

Kein „nostalgischer Antrieb“

Rund 500 solche Farbfotos umfasst das Projekt „Geschäfte mit Geschichte“ inzwischen. Gut die Hälfte davon haben Graf und Frey online gestellt. Der architektonische oder historische Wert der Objekte steht im Hintergrund. Es gehe um Lokale, „die sich abheben von den Ketten, wo alles konfektioniert ist“, erklärte Frey. Vor die Linse kommt demnach „alles vom Lobmeyr bis zur kleinen Änderungsschneiderei“. Man folge keinem „nostalgischer Antrieb“, sondern wolle lediglich dokumentieren.

Ausgewählte Exemplare haben die Fotografen inzwischen in zwei auf je 150 Stück limitierten Büchlein veröffentlicht. Der dritte Band erscheint dieser Tage. Präsentiert wird er am Dienstag, 19.00 Uhr, in der Buchhandlung Lia Wolf (Sonnenfelsgasse 3), wo gleichzeitig die Ausstellung „Spurensuche 2018“ (bis 9. Oktober) eröffnet wird. Für diese Schau haben die Herren 22 Geschäfte, die sie vor Jahren geknipst haben, noch einmal besucht und fotografiert. Nach dem Vorher-Nachher-Prinzip werden die Bilder einander gegenübergestellt - um zu zeigen, was aus den Shops geworden ist und wie sich das Stadtbild dadurch geändert hat.

Geschäfte mit Geschichte

APA/Philipp Graf

Aus dem Weingeschäft wurde das Restaurant „Winzerkönigin“

Gute und schlechte Beispiele

Graf nennt das optische Schicksal des Delikatessengeschäfts „Böhle“ oder des Kindermodenladens „Süsses Mädel“ in der Rotenturmstraße als Negativbeispiele. In beiden Fällen wurden die typografisch markanten, teils als Neonlettern aufgebrachten Schriftzüge sowie die darunter liegenden dunklen Glaspaneele entfernt und auf die Auslagen Klebefolien aufgezogen, die für die Produkte der Nachfolge-Mieter werben: Gummibären, Luxusuhren, Haarentfernung.

Veranstaltungshinweis:

Bei einem speziellen Spaziergang (Dienstag, 16.45 Uhr, Treffpunkt Cafe Engländer) führen die Projektbetreiber zu einigen abgebildeten Läden. Die Teilnahme ist kostenlos, aber die Teilnehmerzahl begrenzt.

Wohlgefallen findet bei Graf und Frey der Umgang mit der vormaligen Boutique „Pelzmodelle Urschel“ am Albertinaplatz. Die Edelbäckerei Joseph Brot hat das Lokal kürzlich übernommen und dabei Fassade und sogar den blauen Namensschriftzug unberührt gelassen. Ähnliches lässt sich von der jetzigen Inhaberin des Weingeschäfts „Winzerkönigin“ an der Wiedner Hauptstraße berichten. Sie hat - weil sehr passend - den Namen und die äußere Anmutung des dort zuvor ansässigen Restaurants übernommen. „Das alte Schild war zwar kaputt, aber es wurde originalgetreu nachgebaut“, freut sich Graf.

Geschäfte mit Geschichte

APA/Martin Frey

Grund für die Schließungen seien etwa aussterbende Berufe

Registrierkasse „nicht Schuld“

Warum Geschäfte zusperren, habe mehrere Gründe, sagen die Hobbyfotografen. Teilweise handle es sich - wie im Fall eines Scherenschleifers - um aussterbende Berufe, in anderen Fällen gingen die Besitzer auch ohne passenden oder willigen Nachfolger in Pension. „Es ist aber nicht die Globalisierung Schuld - und auch nicht die Registrierkassa“, meinen die Beiden. „Schallplatten Brigitte“ ereilte ein besonderes Schicksal: Der 1959 in der Laxenburger Straße eröffnete Vinyl-Shop, einer der allerersten Wiens, fiel dem Bau des neuen Hauptbahnhofs bzw. des umliegenden Areals zum Opfer - mehr dazu in fm4.ORF.at.

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