Wohnstraße wird zum Wohnzimmer

179 Wohnstraßen wurden in Wien seit 1983 ausgewiesen und dennoch sind sie eine Grauzone im Verkehrsbewusstsein der Bürger. Dem begegnet heute die Initiative „Wien lebt“ mit einem Wohnstraßenfest in Rudolfsheim-Fünfhaus.

„Uns gehört die Stadt“ fordert die Aktion „Wien lebt“ und bezieht in diesem Jahr ihr Wohnzimmer in der Pelzgasse in Rudolfsheim-Fünfhaus. „Wir testen die Wohnstraßen und genießen sie und schauen uns auch an, inwieweit wir unsere internalisierten Muster, dass man auf der Straße prinzipiell nicht geht, spielt, isst oder sitzt, überwinden können und unter welchen Umständen das passiert“, sagt Kuratorin Brigitte Vettori.

Wohnstraße Zinckgasse Rudolfsheim-Fünfhaus

Akos Burg

„Tag der Wohnstraße“ macht die Pelzgasse zum verlängerten Wohnzimmer

Die Menschen sollen ausprobieren, was alles auf einer Wohnstraße möglich ist. Um die Straße wohnlich zu machen, wird das Kollektiv Raumstation die freien Parklücken möblieren und die Unterstützer von Lebenswertes Matznerviertel bei Sofamusik ein Frühstück servieren.

Mit Straßenspielen von geht-doch.wien, Schachpartien und sogar einem Billardtisch soll Jung und Alt auf die Wohnstraße gelockt werden. Der öffentliche Raum soll mit einem Fenstercafe zum Verweilen einladen und für altere Leute, die nicht mehr so mobil sind, ein attraktiver Ort für einen Plausch werden.

Barrieren erzwingen Schritttempo

Autofahrer wüssten selbst nicht immer über die Verkehrsbestimmungen der Wohnstraße bescheid oder missachten das Durchfahrtsverbot und Schritttempogebot bewusst, lautet das Resümee der vergangenen Aktionen von „Wien lebt“. Zudem werden laut Vettori auch Autofahrer mit GPS durch Wohnstraßen geschickt. Die Polizei habe aber größere Probleme und kann nicht jeden Verkehrssünder, der durch eine Wohnstraße fährt, belangen.

Tag der Wohnstraße
14.00 bis 17.00 Uhr, Pelzgasse

Der Test in den Wohnstraßen Zinckgasse, Gaullachergasse, Alberichgasse und Langmaisgasse zwischen April und Juli zeigte, dass die Gestaltung der Straße mit Pflanzen und Möbel sich jedoch auf das Verhalten der Verkehrsteilnehmer auswirkt.

Wohnstraße Langmaisgasse Rudolfsheim-Fünfhaus

Heidi Plein

Verweilen auf der Wohnstraße ist ohne Anmeldung erlaubt

„Sobald die Autofahrer Schlangenlinien fahren müssen oder sich einfach viele Menschen auf der Straße aufhalten, werden die Fahrer vorsichtiger oder drehen gar um“, sagte Grätzlmacherin Vettori. Der Straßenbelag wird dafür in der Pelzgasse temporär neu gestaltet. Künstlerin Sylvia Kostenzer setzte dazu bereits ein Projekt in der Staglgasse im 15. Bezirk um - mehr dazu in Blaue Wohnstraße für mehr Bewusstsein.

Gehen als gesellschaftspolitischer Akt

Die Frage, ob die bestehenden Wohnstraßen in Rudolfsheim-Fünfhaus gut angelegt sind, soll mit einem Stadtspaziergang aufgeklärt werden. Das Projekt Shared Walks kommt dazu mit seinem Spazierforschungslabor in die Pelzgasse, für das die Teilnehmer Gedanken und Eindrücke sammeln sollen.

Auf dem Weg ins Nibelungenviertel - einem Wohnstraßen-Hotspot im 15. Bezirk - können sich die Probanden 15 verschiedenen Fragestellungen widmen. So wird ausgelost ob die Spaziergeher Balkone untersuchen, Fotos von besonderen Orten schießen oder Geräuschproben von stillen Ecken sammeln sollen. Die Beobachtungen werden auf individuellen Karten festgehalten, aus denen am Ende eine mehrschichtige Grätzlmappe entstehen soll.

Shared Walks
13 Uhr, Pelzgasse/Goldschlagstraße

Die Initiative widmet sich dem Gehen auf einer sozialwissenschaftlichen und künstlerischen Ebene. Durch die Spaziergänge sollen soziale Begegnungen gefördert werden und Menschen ermuntert werden, sich öffentliche Räume anzueignen.

Bürger gestalten den Bezirk

Die Initiative Pelzgasse hievte das Wohnstraßenthema auf die bürokratische Ebene. Angestoßen von zwei Nachbarn wurde von den Bewohnern des Viertels zwischen Märzstraße, Gürtel, Felberstraße und Tannengasse das Verkehrsleitkonzept neu diskutiert. Mit der Bürgerbeteiligung arbeiteten die Bezirksverwaltung und Experten neue Straßenpläne aus. Diese werden demnächst präsentiert und sollen 2019 zur Umgestaltung des ganzen Grätzls führen.

Die Initiative „Wien lebt“ widmet sich bereits seit neun Jahren verschiedenen Plätzen und Räumen in Wien. Nach Station am Urban Loritz Platz und am Meidlinger Platzl konnten die Grätzlmacher den Dornerplatz in Hernals wiederbeleben. Die Projekte der letzten Jahre waren mit vielen Genehmigungen und Formalitäten verbunden. „Bei der Wohnstraße brauchts dies nicht, jeder kann solche Aktionen nachmachen, wenn er sich an die Regeln der Straßenverkehrsordnung hält“, erklärt Initiatorin Vettori.

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