Wiener Genossen bringen SPÖ-Reform zu Fall

In der SPÖ geht es turbulent weiter: Bei der Präsidiumsklausur am Sonntag auf dem Kahlenberg wurde auf Drängen der Wiener SPÖ still und heimlich die unter Ex-Parteichef Christian Kern erarbeitete Organisationsreform abgesagt.

Das berichtete der „Standard“. Nach APA-Informationen wurde in der Präsidiumssitzung beschlossen, die Organisationsreform auf den nächsten Parteitag in zwei Jahren zu verschieben. Ursprünglich sollten die geplanten Änderungen am SPÖ-Parteitag am 24. und 25. November in Wels verabschiedet werden. Ziel der Organisationsreform waren die Erneuerung der Partei, klarere Entscheidungsstrukturen und eine Öffnung der SPÖ.

Ludwig-Kritik an Zweidrittelschwelle

Der Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig opponierte in den vergangenen Wochen vor allem gegen jenen Passus, der eine Zweidrittelschwelle für öffentliche Ämter vorsah, wenn das entsprechende Mandat bereits zehn Jahre ausgeübt wurde. Ludwig sprach sich in Interviews mehrfach gegen eine solche Zehnjahresfrist aus. Im letzten Entwurf war die Zweidrittelschwelle deshalb nur für Nationalrats- und EU-Abgeordnete der SPÖ vorgesehen, Bundesräte und die Landesebene waren ausgenommen.

Rendi Wagner Ludwig

APA/MANUEL DOMNANOVICH

Beim Präsidium drängte die Wiener SPÖ auf einen Stopp der Parteireform

Weitere Punkte der geplanten Reform betrafen eine Mitgliederabstimmung über Koalitionsabkommen, niedrigere Quoten für die Initiierung von Mitgliederbefragungen sowie die Einschränkung der Anhäufung von Ämtern - Mehrfachbezüge durch Mandate sollten durch höhere Solidaritätsabgaben zurückgedrängt werden.

Erste parteiinterne Kritik

Von den SPÖ-Mitgliedern gab es für die Vorhaben im Rahmen einer Mitgliederbefragung vor dem Sommer bereits grünes Licht. Durchgehend über 70 Prozent der rund 38.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer stimmten für die im Fragebogen abgetesteten Organisationsthemen. Auch die Parteigremien segneten die Pläne ab, nun wurde die Organisationsreform aber vorerst abgesagt. Die neue SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner soll einen überarbeiteten Vorschlag ausarbeiten, der dann am nächsten Parteitag in zwei Jahren beschlussreif sein soll.

Erste Kritik an diesem Vorgehen gab es am Montag aus der Wiener SPÖ-„Sektion 8“. „Nichts wurde in der SPÖ so lange und breit diskutiert wie Organisationsreformen. Es gibt keinen inhaltlichen oder organisatorischen Grund, diesen Minimalkompromiss zu kübeln. Es gibt nur einen machtpolitischen und, mit Verlaub, den haben wir satt“, schrieb die kritische SPÖ-Sektion via Twitter.

„Versicherung gegen Gusenbauer-Effekt“

Die Reform sei ein Kompromiss gewesen, den der bisherige Bundesgeschäftsführer Max Lercher nach viel Einsatz allen Beteiligten abgerungen habe. Der Vorschlag habe durchaus Luft nach oben, allerdings sei die Forderung nach einer Urabstimmung von Koalitionsverträgen bahnbrechend, „quasi eine Versicherung gegen den Gusenbauer-Effekt 2007“. Dem früheren SPÖ-Chef und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer war damals vorgeworfen worden, bei den Koalitionsverhandlungen von der ÖVP über den Tisch gezogen worden zu sein.

Die „Amtszeit-Klausel“, gegen die sich vor allem Ludwig wehrt, hat laut „Sektion 8“ nur „symbolischen Effekt“. 66 Prozent seien ja keine echte Hürde, wenn es wie in der SPÖ üblich nur einen Kandidaten für eine Position gibt. „Es geht also um etwas Prinzipielles. Nichts soll sich ändern. (...) Niemand will Macht abgeben“, so die kritischen Genossinnen und Genossen.

„Personaldiskussionen hinter verschlossenen Türen“

Die SPÖ operiere mit einer 130 Jahre alten Struktur. „Personaldiskussionen fallen hinter verschlossenen Türen, völlig unnachvollziehbar.“ Die, die hinter geschlossenen Türen entscheiden, verlangten aber „blinde Loyalität“ von allen anderen, heißt es weiter. Kritisch wird von der „Sektion 8“ auch angemerkt, dass das Abstimmungsergebnis der Mitgliederbefragung „als bedeutungslos“ beiseitegeschoben werde.

Kritik gab es auch aus anderen Teilen der SPÖ-Basis. „Zählen Tausende Parteimitglieder gar nix mehr“, fragte etwa der Vorsitzende einer oberösterreichischen SPÖ-Sektion via Twitter die Parteispitze. Für den Vorarlberger SPÖ-Landesvorsitzenden Martin Staudinger ist es „klar“, dass die Statutenreform noch einmal besprochen wird, zumal sich in den vergangenen Tagen personell viel in der Partei geändert hat. Es bestehe zudem keine Eile, sagte er am Montag. „Bis zur nächsten Nationalratswahl 2022 haben wir die Organisationsreform auch drin“, so Staudinger.

Für Heinisch-Hosek „total gut“

SPÖ-Frauenvorsitzende Gabriele Heinisch-Hosek verteidigte am Montag die Absage der Organisationsreform. Am Parteitag im November werde man vor allem Themen diskutieren, „die die Leute draußen betreffen“, sagte sie in einer Pressekonferenz. Um die interne Organisation werde es dann „leicht verändert vermutlich“ am Parteitag 2020 gehen.

Sie finde die Schwerpunktsetzung auf die neue Vorsitzende Rendi-Wagner, auf Inhalte und den EU-Wahlkampf „total gut“, sagte sie auf die Frage, ob sie die Absage für gescheit halte: „Zwei Jahre Verschiebung tangieren uns nicht.“ Es gebe bei der Organisationsreform noch einiges zu diskutieren, etwa was Urabstimmungen und die Zehnjahresfrist bei den Parteiämtern betrifft, das habe sich in der Präsidiumsklausur gezeigt.

„Rückkehr zum Konsens, zum Zuhören“

Dass damit alles, was in den vergangenen zwei Jahren SPÖ-intern angestoßen und per Mitgliederbefragung abgesegnet wurde, zurückgenommen werde, wertete sie nicht als negativ. „Ich sehe es als Rückkehr zum Konsens, zum Zuhören“, so Heinisch-Hosek. Rendi-Wagner nehme Rücksicht darauf, was einzelne „in unserer großen Familie“ zu sagen hätten. Es könnte auch „eventuell noch einmal“ zu einer Befragung der Mitglieder kommen.

Für Rendi-Wagner nur verschoben

„Es ist ein Verschieben“, sagte die neue Parteichefin Pamela Rendi-Wagner am Montag vor der Sitzung des Parlamentsklubs, bei der sie einstimmig zur Klubchefin gewählt wurde. Der neue Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda versuchte zu Mittag gegenüber Ö1 zu beschwichtigen: Die Öffnung der Partei habe man mit Rendi-Wagner demonstriert. Man habe für den Parteitag eine klare Priorität zu setzen gehabt, und das seien das Programm, die neue Vorsitzende sowie am zweiten Tag die EU-Wahl und das EU-Programm, so Drozda.

Das heiße nicht, dass die Organisationsreform abgesagt sei. Das heiße auch nicht, dass man keine Gastmitgliedschaften und Themensektionen mache. Mit dem wichtigen Organisationsthema werde man sich am darauffolgenden Parteitag auseinandersetzen. Die Partei hätte in jedem Fall darauf verzichtet, in den nächsten zwei Jahren reformiert zu werden, so Drozda weiter. Denn die Reform wäre so oder so erst in zwei Jahren in Kraft getreten.

Ludwig begründete die Verschiebung der Organisationsreform am Montag damit, dass man den Fokus auf die neue Vorsitzende und die inhaltliche Ausrichtung der Partei und nicht auf „Vereinsmeierei“ legen wolle - mehr dazu in Reformaufschub: Ludwig gegen „Vereinsmeierei“.

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