Tausende bei Demo gegen Kassenreform

Auf dem Wienerberg vor der Zentrale der WGKK haben Tausende Gewerkschafter aus ganz Österreich gegen die umstrittene Reform der Sozialversicherung protestiert. In Wien waren Ambulatorien zeitweise geschlossen.

Laut Gewerkschaft waren rund 4.000 Beschäftigte der Sozialversicherungsträger in der Wienerbergstraße vertreten. Der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB),Wolfgang Katzian, warnte vor einer „Zerschlagung der Sozialversicherung, weniger Versorgungssicherheit sowie drohenden Leistungskürzungen und Selbstbehalten“. Empört zeigte sich der Gewerkschaftschef über die geplante Sonderklasse in Spitalsambulanzen. „Seid’s ihr wuggi? Das darf doch nicht wahr sein“, rief Katzian in Richtung der Regierung.

Er bekräftigte, dass die Gewerkschaft die geplante Kassenreform bekämpfen werde, auch wenn diese morgen im Nationalrat beschlossen wird. „Wir lassen uns nicht gefallen, dass man so mit uns umgeht.“ Denn es gehe um „ein gutes Leben für alle und nicht nur für eine bestimmte Gruppe.“

Protestkundgebung gegen die Sozialversicherungsreform am Wienerberg

APA/Helmut Fohringer

Vor der WGKK-Zentrale wurde gegen die Sozialversicherungsreform protestiert

Katzian warnt vor Verschlechterungen

Die Regierung hungere das Gesundheitssystem aus. Die Folge seien Privatisierungen und Selbstbehalte, warnte Katzian. „Das Gesetz zur angeblichen Reform ist noch nicht einmal beschlossen, da kommt schon der nächste Angriff auf den Sozialstaat“, kritisierte der ÖGB-Präsident die Ankündigung, die Beiträge für die Sozialversicherung senken zu wollen. Damit drohen Verschlechterungen, so Katzian, die Versorgung wäre in Gefahr.

Profitieren würden nicht die Versicherten, sondern nur die Unternehmen, verweist der Gewerkschafter auf die „bewusst falsche Argumentation der Regierung“. Höhere Gehälter und eine weitere Erhöhung der Negativsteuer wären die weit sinnvollere Alternative, erklärte Katzian.

Teilnehmer einer Protestkundgebung gegen die Sozialversicherungsreform am Wienerberg

APA/Helmut Fohringer

Laut Gewerkschaft waren rund 4.000 Teilnehmer bei der Kundgebung dabei

Gesundheitssystem „ausgehungert“

Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp), sprach von „einer brutalen Umverteilung von unten nach oben“. Den Gebietskrankenkassen werde das Geld entzogen und damit Luxusprivatkliniken gesponsert. Da passe die geplante „fast line“ in den Ambulanzen gut ins Bild. „Das ist einseitige Klientelpolitik. Schlimmer geht’s nimmer“, so Teiber.

„Wir werden dieses Husch-Pfusch-Gesetz weiter bekämpfen“, kündigte auch die Präsidentin der Arbeiterkammer (AK), Renate Anderl, Widerstand an. „Die Regierung setzt da viel aufs Spiel. Letzten Endes geht es um das öffentliche Gesundheitssystem, um eine funktionierende Versorgung für die Arbeitnehmer und ihre Familien“, so Anderl. Die von der Regierung angekündigte Patientenmilliarde gebe es nicht, viel mehr werde das Gesundheitssystem durch Milliardenbelastungen ausgehungert.

Ambulanzen in Wien bis 14.00 Uhr gesperrt

Auswirkungen hatten die Proteste auch auf Versicherte und Patientinnen und Patienten, denn in Wien und Niederösterreich blieben am Mittwoch Kundencenter und Kassenambulatorien aufgrund von Betriebsversammlungen geschlossen. In Wien waren die Gesundheitszentren der WGKK, alle Kundencenter in den Außenstellen und die Zentrale der WGKK bis 14.00 Uhr betroffen. Für Notfälle wurden Akutambulanzen eingerichtet. Auch das Hanusch-Krankenhaus in Wien schloss die Ambulanzen.

Betroffene Kunden der Gebietskrankenkasse zeigten für die Proteste nur teilweise Verständnis. „Ich habe drei Monate auf den Termin gewartet, und niemand hat mir abgesagt“, äußerte sich etwa eine Kundin gegenüber „Wien heute“ enttäuscht. „Auf jeden Fall“ habe sie aber Verständnis für die Proteste. „Es geht nicht anders, man muss schon zeigen, was man will“, meinte ein Kunden zur Kundgebung.

Tausende bei Demo gegen Kassenreform

Auf dem Wienerberg haben Tausende Gewerkschafter gegen die umstrittene Reform der Sozialversicherung protestiert.

Regierung reformiert Sozialversicherung

Hintergrund der Proteste war der Beschluss der Reform der Sozialversicherung am Mittwoch im Nationalrat. Die GPA-djp fürchtet aufgrund der Reform der ÖVP-FPÖ-Regierung schlechtere Leistungen für die Patienten sowie erhöhten Arbeitsdruck für die Beschäftigten. Bei der Protestveranstaltung sind laut Gewerkschaft Teilnehmer aus allen Bundesländern dabei, die Protestaktion begann um 11.00 Uhr.

Die Eckpunkte der Reform laut dem Gesetzesentwurf der Regierung, wie sie ihn am 14. September vorgelegt hat: Statt 21 Krankenkassen soll es in Zukunft nur noch fünf geben. Die Arbeitgeberfraktion bekommt mehr Gewicht, die Funktionärszahl soll sinken. Die Regierung erhofft sich eine Milliarde Euro Einsparung - mehr dazu in Regierung legt Kassenreform vor (news.ORF.at).

Papier mit Überblick zur Kassenreform

ORF

Sozialversicherung alt und neu

WGKK-Chefin Reischl hat Zweifel

Ingrid Reischl, Chefin der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), bezweifelte auch schon im September im Ö1-Morgenjournal, dass es die versprochene „Milliarde“ für die Versicherten geben wird: „Das kann sich nicht ausgehen.“ Reischl sprach von einer „absurden“ Summe: „Wir geben im Jahr 90 Mio. Euro für die Verwaltung aus. Wenn ich jetzt alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kündigen würde, dann würde ich 90 Millionen sparen, aber es wird ja weiterhin Mitarbeiter brauchen, vor allem, wenn es um so eine riesige Fusion geht“ - mehr dazu in Reischl: Versicherte werden Kassenreform spüren.

Die Arbeitnehmervertreter lehnen die ÖVP-FPÖ-Sozialversicherungsreform ab. Sie forderten im Oktober die Regierung in einer Resolution auf, ihre Entwürfe zurückzunehmen. Die AK lehnt die Umorganisation der Sozialversicherung ab, weil sie nur die Interessen der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung berücksichtige - mehr dazu in AK einstimmig gegen Sozialversicherungsreform.

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