Mediziner operieren als Klangkörper

In Wien gibt es ein Orchester, das hauptsächlich aus Medizinern besteht - vom Apotheker bis zum Chirurgen. Nun gibt die Camerata Medica ihr bisher größtes Benefizkonzert. Parallelen zwischen der Medizin und der Musik gibt es genug.

„Es war eigenartig als wir hier zum Proben angefangen haben“, erzählt der Dirigent des Orchesters Nicolas Radulescu. „Da habe ich mir gedacht: ‚Um Gottes Willen das riecht so nach Krankenhaus.‘ Bald habe ich das dann aber mit Proben assoziiert. Jetzt wenn ich ins Krankenhaus gehe, habe ich immer das Gefühl: ‚Juhu es kommt eine Probe.‘“

Es geht durch die sterilen Gänge des Krankenhauses, die Glastüren öffnen sich automatisch. Dann kommt man in einen großen Saal: den Festsaal der Krankenanstalt Rudolfstiftung. Es ist gleichzeitig der Saal für die Proben der Camerata Medica Wien, einem medizinisch-pharmazeutischen Kammerorchester. Nur noch wenige Tage sind es bis zum großen Konzert. Nach und nach treffen die Mediziner ein. Sie haben ihre weißen Kittel abgelegt und Instrumentenkoffer in der Hand.

Chirurgen musizieren mit Masseuren

60 Mitglieder hat das Orchester derzeit. Größtenteils sind es Chirurgen, Gynäkologen, Krankenpfleger, Pharmazeuten, Apotheker, Physiotherapeuten, Sprechstundenhilfen und Masseure, die musizieren. Nur wenige stammen aus anderen Berufen. „Alleine aus Medizinern und Pharmazeuten könnten wir das Orchester nicht als Kammerorchester führen“, erklärt die Obfrau des Orchesters, Melisande Messner-Kolp.

Sie ist Gynäkologin im Klinikum Rudolfstiftung und lernte schon als Kind Geige zu spielen. Seitdem das Orchester von Martin Donner, einem Orthopäden und Flötisten, im Jahr 2004 gegründet wurde - also seit etwa 15 Jahren - ist sie Teil des Orchesters. „Es war eine Annonce in der Ärztezeitung und ich dachte mir, da kann ich meine Geige wieder auspacken. So hat das begonnen.“

Musik als Ausgleich zum stressigen Ärztealltag...

Jährlich gibt das Orchester zwei bis drei Konzerte. Geprobt wird immer Mittwochabends. Die Mitglieder versuchen, den Termin freizuhalten und ihren Dienstplan anzupassen. Immer funktioniert das nicht. Oft würden Leute berufsbedingt zu spät oder wegen einer Nachtschicht gar nicht kommen. „Aber grundsätzlich findet man immer Zeit für das, was man gerne tut“, sagt Messner-Kolp.

Die Proben seien für sie ein Ausgleich: „Es ist diese Probenzeit eine Zeit in der man so fokussiert ist und wirklich nur in der Gegenwart lebt. Es ist zwar fordernd und manchmal anstrengend, aber es werden so viele andere Hirnbereiche einmal stillgelegt und man kann seine schlechten Gedanken ablegen.“

Mediziner Orchester

ORF/Anna Stockhammer

Die ersten Töne werden angestimmt

Mit dem Orchester wurde das ehemalige „Wiener Ärzteorchester“, das im späten 19. Jahrhundert gegründet und durch den zweiten Weltkrieg eingestellt wurde, wiederbelebt. Seit der Gründung ist das Orchester gewachsen und kann deshalb auch größere Stücke in sein Repertoire aufnehmen. Als professionelles Orchester bezeichnet sich die Camerata Medica aber nicht. „Wir dürfen nicht mit professionellen Musikern verglichen werden, diesen Anspruch haben wir auch nicht. Aber wir haben den Anspruch uns dem doch ein bisschen zu nähern, stetig, langsam“, sagt Messner-Kolp.

...und als Medizin für Demenz

Einige der Mitglieder haben durch das Orchester erst wieder zur Musik gefunden. So wie Andreas Berger. Er ist eines der Gründungsmitglieder und hat hauptberuflich seine eigene Apotheke im 14. Bezirk. Als Jugendlicher war er sieben Jahre auf der Hochschule für Musik und darstellende Kunst und hat das Konzertfach Trompete studiert. Mit 19 Jahren hat er sich dann entschieden Apotheker zu werden und die Trompete auf die Seite gelegt - bis die Camerata Medica gegründet wurde.

Veranstaltungsinfo

Benefizkonzert der Camerata Medica, 7. März, 19.30 Uhr, Wiener Sofiensäle - mit Pianistin Elisabeth Leonskaja (Klavier), Konstanze Breitebner (Moderation). Der Erlös geht an das Projekt „Kinderarmut abschaffen“ der Volkshilfe.

Er sieht in der Musik mehr als einen Ausgleich. „Erstens mal war die Musik, glaube ich, von vornherein immer die älteste Medizin. Das Singen ist eines der ersten Therapiemittel“, sagt Andreas Berger. Besonders im Bereich der Therapie, der Psychiatrie und der Neurologie und auch bei Krankheiten wie Depression und Demenz wird Musik oft als eine Art Medizin eingesetzt.

Berger arbeitet zurzeit etwa gerade mit einer Gruppe von Menschen, die Demenzkranke betreut. Durch die Musik würden Areale im Gehirn wieder aktiviert, die bereits als verkümmert galten. „Ich glaube schon, dass die Musik in jedem etwas bewirkt. Besonders wenn man es selber macht, aber auch passiv ist es nicht nur Wohlbefinden sondern hat auch medizinischen Nutzen.“

Dirigent

ORF/Anna Stockhammer

Nicolas Radulescu dirigiert das Medizinerorchester

Mediziner, die Musiker werden - und umgekehrt

In der Vergangenheit sind viele berühmte Musiker Mediziner geworden - und umgekehrt. Etwa Theodor Billroth, der als Musiker begann und dann einer der bedeutendsten Chirurgen des 19. Jahrhunderts wurde. Oder Fritz Kreisler, der zuerst Medizin studierte und dann Karriere als Komponist und Violinist machte. Im Mittelalter war die Musik sogar ein Pflichtfach im Medizinstudium.

In beinahe jeder größeren Stadt gibt es auch ein Orchester, das aus Medizinern besteht. In Wien gibt es die Camerata Medica, in Bern das Medizinerorchester, in New York das „Doctor’s Orchestra“ und es gibt sogar ein „World Doctors Orchestra“. Was ist der Grund dafür, dass sich so viele Mediziner gleichzeitig für Musik begeistern?

„Scheint immer schon ein Trend gewesen zu sein“

Radulescu, der als Dirigent und Nicht-Mediziner das Orchester überblickt, hat eine Vermutung: „Ich habe sogar in meiner eigenen Familie musizierende Ärzte. Es scheint wirklich immer schon ein Trend gewesen zu sein. Ich kann mir vorstellen, dass es relativ ähnliche Fertigkeiten erfordert, wenn ich ein Chirurg bin und da rumschnippeln muss und mit meinen Händen ein Instrument bedienen muss. Aber es ist auch anders genug, dass es vollkommen ablenkt von Tod und Verderben, womit man den ganzen Tag ja konfrontiert ist.“

Messner-Kolp bestätigt, dass die Fingerfertigkeiten eine Gemeinsamkeit darstellen. Auch müsse man bei beidem sensibel sein. „Es sind die Fähigkeiten des Einfühlens. Man muss gut hinschauen beziehungsweise hinhören als Arzt und als Musiker. Es ist auch die Musik eine universelle Sprache und bis zu einem gewissen Grad die Medizin auch. Im Prinzip ist es egal ob ich hier am OP-Tisch stehe oder in irgendeinem anderen Land, die Basisschritte sind gleich. Das wird überall verstanden.“

Anna Stockhammer, wien.ORF.at

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