Mutter und Töchter wohl verhungert

Jene Mutter und ihre Zwillingstöchter, die am Dienstag tot in ihrer Wohnung in Wien-Floridsdorf gefunden worden sind, dürften verhungert sein. Das ergab eine Obduktion der Leichen. Der Todeszeitpunkt wird auf Anfang April geschätzt.

Ermittler des Landeskriminalamts Wien konnten ein Gewaltverbrechen aufgrund der Spurenlage relativ schnell ausschließen, berichtete die Polizei in einer Aussendung. Eine gerichtliche Obduktion gab Verhungern als Todesursache an. Die drei Frauen sollen Ende März, Anfang April gestorben sein, so das Ergebnis der Untersuchung. Eine erste toxikologische Untersuchung ergab keine Spuren einer Vergiftung.

In den kommenden Wochen werden weitere Untersuchungen durchgeführt, so die Polizei. Die Leichen der Frauen, 45 und 18 Jahre alt, waren Dienstagvormittag in der Wohnung eines Gemeindebaus in der Werndlgasse gefunden worden. Eine Bekannte hatte die Polizei verständigt - mehr dazu in Drei tote Frauen in Wohnung aufgefunden.

Wohnung Floridsdorf Leichenfund

APA/Hans Klaus Techt

Die drei Frauenleichen wurden am Dienstag entdeckt

Verdacht auf psychische Erkrankung

Vieles deutete darauf hin, dass die Tragödie in der Wohnung in der Werndlgasse mit einer psychischen Erkrankung der Mutter zusammenhängen dürfte. Schon vor Jahren soll bei der Frau, die sich mehrmals ins Frauenhaus geflüchtet hatte, die Diagnose gestellt worden sein. Ob bzw. wie das zu einem offenbar freiwilligen Verhungern auch der 18-Jährigen geführt haben könnte, ist noch unbeantwortet.

Die Polizei machte aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes der Verstorbenen und aus Rücksicht auf Angehörige keinerlei Angaben zu solchen persönlichen Details bzw. sind wohl auch für die Ermittler viele Fragen offen. „Nicht immer lässt sich alles restlos aufklären“, hieß es. Es sehe aber aus, „als wenn das beabsichtigt gewesen, freiwillig gemacht oder in Kauf genommen worden wäre“.

Es sei bisher kein Motiv eruierbar, und es gebe keine Abschiedsbriefe, sagte Maierhofer. Die Ermittler hätten in der Wohnung auch keine Lebensmittel finden können. Die Familie habe isoliert gelebt. „Sie hatten wenig soziale Kontakte“, auch nicht zu den Nachbarn in der großen Wohnhausanlage mit Hunderten Bewohnern. Entsprechend wenige Informationen erhielt die Polizei bisher aus dem Umfeld. Die Wohnung hätten Mutter und Töchter „immer nur gemeinsam“ verlassen, sagte Maierhofer.

Familie mit Jugendamt in Kontakt

„Es waren schüchterne Kinder, ruhige Mädchen in der Pubertät“, beschrieb Andrea Friemel von der Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) die Zwillinge. In der Schule seien sie als Integrationskinder geführt worden. Dabei spielte wohl eine nicht näher erläuterte „Entwicklungsverzögerung“ eine Rolle. Im Herbst 2016, nicht mehr schulpflichtig, wurden die Jugendlichen von der Schule abgemeldet.

Hilfe für Betroffene

Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe ist unter der Servicenummer 01/4000 8011 montags bis freitags von 8.00 bis 18.00 Uhr erreichbar. Angehörige, Nachbarn und andere Menschen, die sich um Schutzbedürftige Sorgen machen, können sich an diese Stelle wenden.

Im Dezember 2016 kam die Familie daraufhin auch in Kontakt mit der Behörde. Ehrenamtliche Betreuer aus einem Mentorenprojekt schalteten das Jugendamt ein. Die „Abklärung der Situation“ endete im März 2017, ohne dass die MA 11 ab diesem Zeitpunkt noch eine Notwendigkeit für weitere Maßnahmen gesehen hätte. Das Amt habe sich wie in solchen Fällen üblich als Ansprechpartner für die Zukunft angeboten - mehr dazu in Tote Frauen: Familie war Jugendamt bekannt.

Über eine schwerere Beeinträchtigung geistiger oder physischer Art der Kinder finde sich nichts in den Unterlagen. Die Zwillinge dürften nicht hilflos gewesen sein. „Wäre so etwas wahrgenommen worden, hätte es automatisch mehr an Unterstützung, auch finanzieller Natur, gegeben.“ Grundsätzlich sei festzuhalten, dass die Betreuung durch die Behörde im Frühjahr 2017 endete. Die Einschätzung des Jugendamts beziehe sich daher auf die Situation von vor zwei Jahren, so Friemel.

Psychologe: Mutter perfektionierte Abschottung

Der Psychologe Cornel Binder-Krieglstein vermutet eine verzerrte Wahrnehmung der 45-jährigen Frau durch eine psychische Erkrankung. Eine Schizophrenie etwa würde erklären, dass die Mutter den Hungertod in Kauf genommen hat, etwa wenn ihr Stimmen dies befohlen hätten. Dieses Störungsbild hätte die Frau vermutlich auf ihre Kinder übertragen.

Das passiert allerdings nicht von heute auf morgen. „Das ist ein langer Prozess“, wo auch das Umfeld eine Rolle spielt, erklärte Binder-Krieglstein. Die Frau lebte mit ihren Kindern zurückgezogen und hatte scheinbar wenig Kontakt zu anderen. Sie habe sich damit eine Struktur - eine eigene Welt - geschaffen, um die Situation weiterhin so beizubehalten.

„Sie machte aus ihrer Sicht etwas Überlebenswichtiges, etwas Gutes“, so Binder-Krieglstein. Diese Abschottung hätte die Frau vermutlich perfektioniert, denn wenn die Kinder älter werden, wäre die Gefahr, von Fremden angesprochen zu werden oder mit anderen Menschen Kontakt zu haben, größer.