Das Verschwinden der Krawatte

Banker ohne Krawatte? Minister mit offenem Hemd? Was früher undenkbar war, ist inzwischen kein Problem mehr. Der Umsatzrückgang bei Krawatten ist massiv, bestätigt ein Wiener Hemdenmacher die Lockerheit im Geschäftsleben.

„Die Krawatte war für meine Familie neben dem Maßhemd ein wichtiger Geschäftszweig, aber die Krawatte ist sehr, sehr stark zurückgegangen“, sagt Hemdenmacher Niko Venturini gegenüber dem ORF-Wirtschaftsmagazin Eco. Seit 1926 lassen sich Politiker, Manager, Politiker und wohlsituierte Herren in seinem Geschäft in der Wiener Innenstadt ihre Hemden anmessen und haben bis zuletzt auch gleich mehrere seidige Schlipse dazugekauft. Das hat sich radikal geändert. „Ich möchte nicht sagen, dass die Krawatte tot ist, viele Herren tragen gerne noch Krawatte, aber die Krawatte ist im Geschäftsleben eigentlich fast verschwunden“, so Venturi.

Lockerer Kleidungsstil in Banken

Dass mit der „New Economy“ der Kleidungsstil lockerer geworden ist, sieht auch, Willibald Cernko, Vorstand der Erste Bank, so. Vor allem die Bank- und Finanzbranche galt in punkto Bekleidung immer als Hochburg des kompromisslos konservativen Stils. Die Krawatte stand immer für Verlässlichkeit, Seriosität und mitunter auch Macht. Doch auch hier ändern sich die Zeiten. „Was wir machen ist nichts anderes als Erwartungshaltungen erfüllen. Ob dazu eine Krawatte gehört oder nicht, das hat sich deutlich entspannt in der Vergangenheit“, so Cernko.

„Das Lächerlichste, was ein Mann tragen kann“

Das gilt auch für Journalisten. Laut Christian Rainer, dem Herausgeber des Nachrichtenmagazins profil, hat der Binder an Bedeutung verloren. „Ich hab sicherlich fünfzig, vielleicht sogar hundert Krawatten bei mir zuhause im Schrank, aber seien wir uns ehrlich: das Lächerlichste, was ein Mann tragen kann, ist eine Krawatte. Sie hat keine Funktion. Die Gesellschaft ist etwas entspannter geworden.“

Collage von Strache, Kurz und Strolz

ORF

Auch bei den Politikern riss zuletzt eine Krawattenlosigkeit ein

Keine Krawattenpflicht mehr im Sacher

Im berühmten Wiener Hotel Sacher war die Krawatte jahrzehntelang für Herren obligatorisch. Wer keine hatte, wurde hinausgebeten, egal ob reich, ob Fürst oder Weltstar. Um ein Beispiel zu nennen: in den 70er-Jahren wurde Filmschauspieler Curd Jürgens des Hauses verwiesen, weil er keine Krawatte trug.

Zu Beginn der 2000er-Jahre wurde die Krawattenpflicht im Sacher abgeschafft. „Es ist auch ein Statement, wenn man keine Krawatte tragen möchte, unabhängig von der Position, unabhänig von der Funktion - und da haben wir uns natürlich auch anpassen müssen. Weil der Gast natürlich auch diktiert, was er möchte und was er nicht möchte“, erklärt Sacher-Direktor Reiner Heilmann.

Firmen schaffen Krawattenzwang ab

Es ist eine Kulturrevolution: Banker, Anwälte und Firmenchefs treten weltweit immer häufiger „oben ohne“ auf.

Ein Halstuch mit Geschichte

Die Krawatte kommt aus dem Militärischen. „Die ersten Betrachtungen einer Krawatte waren bei den Römern. Die römischen Soldaten haben hier bei uns im Alpenraum die Focale getragen, das war ein Halstuch, um sich gegen die Kälte zu schützen“, so Regina Karner, die Modeexpertin des Wien Museums. Spätestens als der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. das bunte Halstüchlein für sich entdeckte, zog die Krawatte in die Mode ein und wurde mit Macht verbunden. Kein Wunder, dass Krawatten immer auch Accessoires von Politikern waren. Doch auch bei den Politikern riss langsam eine Krawattenlosigkeit ein. Beispielsweise Matthias Strolz (NEOS), Heinz-Christian Strache (FPÖ) und auch Sebastian Kurz (ÖVP) verzichteten in den vergangenen Jahren bei öffentlichen Auftritten auf Krawatten.

ORF-Nachrichten mit Krawatte

Das ORF-Fernsehen schreibt die Krawatte aber noch nicht zur Gänze ab. Sie bleibt unverwechselbarer Bestandteil jeder seriösen Fernsehberichterstattung bei Herren, sagt ORF-Modechefin Ariane Rhomberg: „Die Krawatte, welche Farbe, welche Musterung, wie viel traue ich mich, zeigt unglaublich viel, wie geschmackvoll und wie stilsicher der Träger ist.“ Auch oder gerade in Zeiten steigender Krawatten-Skepsis.