Pille-Erfinder Carl Djerassi verstorben

Er galt als „Mutter der Pille“, wurde als Chemiker vielfach ausgezeichnet und hat sich auch als Autor einen Namen gemacht: Der in Wien geborene Wissenschafter Carl Djerassi ist tot. Er erlag 91-jährig einem Krebsleiden.

In der Nacht von Freitag auf Samstag ist Djerassi in San Francisco verstorben, teilte Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder der APA am Samstag mit. Djerassi wurde 91 Jahre alt. Zu seinem Geburtsland Österreich hatte Djerassi lange Zeit ein sehr schwieriges Verhältnis: Am 29. Oktober 1923 kam er als Sohn eines bulgarischen Vaters und einer österreichischen Mutter, die für die Heirat die bulgarische Staatsbürgerschaft annehmen musste, in Wien zu Welt.

1938 von Nazis vertrieben

Die jüdische Familie zog alsbald nach Bulgarien, allerdings kehrte Djerassi nach der Scheidung der Eltern mit seiner Mutter wieder nach Wien zurück. Sie bekam die österreichische Staatsbürgerschaft wieder, für den Sohn wurde dies jedoch nicht genehmigt. Erst 2004 wurde Djerassi „im Republiksinteresse“ Österreicher.

Erfinder der "Pille", Carl Djerassi anl. der Verleihung des Ehrendoktorats der Universität Wien

APA/Herbert Pfarrhofer

Djerassi ist in der Nacht auf Samstag 91-jährig verstorben

Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits die US-Staatsbürgerschaft inne. Der spätere Wissenschafter wurde 1938 von den Nazis aus Wien vertrieben und flüchtete im Jahr darauf in die USA. „Als Chemiker bin ich Amerikaner. Kulturell ist das eine ganz andere Sache“, meinte Djerassi einmal. Seine künstlerische Entfaltung als Autor ab 1985 sah er damals als „Stempel, den meine Kindheit in Wien in mir hinterlassen hat. Der hat sich sehr spät ausgewirkt“.

„Mutter der Pille“

Nach seiner Emigration ermöglichten Pflegeeltern Djerassi den Besuch einer High School in Newark und der University of Wisconsin, wo er im Alter von 21 Jahren in organischer Chemie promovierte. Zunächst arbeitete er in der Industrieforschung.

Djerassi, der sich in seiner Autobiografie als „Mutter der Pille“ bezeichnet, ist für zwei Entdeckungen weltbekannt: die Synthetisierung des Hormons Cortison, wodurch dessen Massenproduktion möglich wurde, und 1951 die Synthetisierung des Schwangerschaftshormons Gestagen, die er zusammen mit den Bostoner Pharmakologen Gregory Pincus und John Rock als Grundlage der Antibabypille entwickelte - eine Bezeichnung, die Djerassi selbst ablehnte, weil er die oral einzunehmende Verhütungspille nicht gegen Babys gerichtet verstand, sondern für die Frau.

Wohnsitz in Wien

Im Jahr 1952 nahm Djerassi seine akademische Lehrtätigkeit an der Wayne State University in Detroit auf. 1959 wechselte er an die Stanford University in Kalifornien, an der er 2002 emeritierte. Seine Arbeitsschwerpunkte als Forscher bildeten Empfängnis, Reproduktionsmedizin und ihre Folgen für die Familie. Durch seine Forschung habe Djerassi „einen enormen wissenschaftlichen Fußabdruck hinterlassen“, so Bernhard Keppler, Dekan der Fakultät für Chemie der Uni Wien.

Nach Wien kehrte Djerassi nach eigenen Angaben erstmals in den 1950er-Jahren zu einem biochemischen Kongress zurück. „Für Emigranten war Rückkehr immer eine Mischung von süß und bitter.“ Mit zunehmendem Alter „wird es immer süßer“, meinte er damals. In den vergangenen Jahren war Djerassi häufig in Wien, wo er auch einen Wohnsitz hatte.

So erhielt er 2012 und 2013 knapp hintereinander Ehrendoktorate der Uni Wien, der Medizin-Uni Wien, der Universität für angewandte Kunst und der Sigmund-Freud-Privatuni und hielt weltweit bei mehr als 30 solcher Auszeichnungen - mehr dazu in „Mutter der Pille“ ist Ehrendoktor der Uni Wien (wien.ORF.at; 05.06.2012).

Kunstwerke an Albertina vermacht

Als Autor schrieb Djerassi zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bevor er sich in „Cantors Dilemma“, „Das Bourbaki Gambit“, „Menachems Same“ und „NO“ dann der von ihm erfundenen Romangattung „Science in Fiction“ widmete. Seit 1997 konzentrierte sich Djerassi auf das Schreiben von Theaterstücken, die er unter dem Begriff „Science in Theatre“ zusammenfasst. Diese feierten zwar Premieren in Edinburgh, London und fanden auch Eingang in die Spielpläne heimischer Häuser, der Sprung an eine große Wiener Bühne blieb ihm aber verwehrt.

Erfinder der "Pille", Carl Djerassi anl. der Verleihung des Ehrendoktorats der Universität Wien

APA/Herbert Pfarrhofer

Djerassi bei der Verleihung des Ehren-Doktors in der Uni Wien im Jahr 2012

Als Kunstsammler besaß Djerassi mit über 150 Werken eine der größten Paul-Klee-Privatsammlungen, die er zur Hälfte dem Museum of Modern Art in San Francisco und der Albertina vermacht hat. Schröder sprach von „einem entsetzlichen Verlust“.

Zahlreiche Auszeichnungen erhalten

Djerassi veröffentlichte rund 1.200 wissenschaftliche Arbeiten und sieben Monographien. Er erhielt den ersten Wolf-Preis in Chemie und wurde in den USA in die „National Inventors Hall of Fame“ aufgenommen.

Zu seinen vielen internationalen Ehrungen zählen das „Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst“ (1999), das „Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich“ und die „Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold“ (2002) sowie das „Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich“ (2008).

Im Jahr 2013, wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag legte Djerassi mit „Der Schattensammler“ seine „allerletzte Autobiografie“ vor. Dabei konzentriert er sich darauf, „die Schatten in seinem Leben aufzuspüren.“ Die umfangreichsten Kapitel widmet Djerassi der Pille und seiner „Heimat(losigkeit)“ - mehr dazu in Djerassi spürt Schatten seines Lebens nach (wien.ORF.at; 03.08.2013).