Karikaturen gegen Depressionen

Wir lachen über Dinge, die uns Angst machen, so Gerhard Haderer. Im Museumsquartier ist seine bisher größte Ausstellung zu sehen. Im Interview mit wien.ORF.at erzählt der Karikaturist, warum Politiker seiner Frau Blumen schenken.

„Haderers Österreich. Cartoons 1985-2010“ heißt die Ausstellung im quartier21, in der 150 Originalwerke zu sehen sind. Die Cartoons des vielfach ausgezeichneten Malers und Buchautors erscheinen seit 1984 in zahlreichen Zeitschriften und Zeitungen, darunter im „Wiener“ und im „stern“. Cartoons über Franz Vranitzky, Thomas Klestil, Jörg Haider, Wolfgang Schüssel, Alfred Gusenbauer und Benita Ferrero-Waldner sind in der Schau zu sehen.

Gerhard Haderer / Komische Künste 2011

Gerhard Haderer / Komische Künste 2011

1995: Im April 1995 übernimmt Wolfgang Schüssel von Erhard Busek die Funktion des Bundesparteiobmanns der ÖVP. Zugleich wird er Vizekanzler im Kabinett Vranitzky.

wien.ORF.at: Sie haben einmal gesagt, dass Sie ein „Besessener“ wären. Was meinen Sie damit?

Gerhard Haderer: Alles, was ich sage, ist überspitzt. Im Zeichnen steckt eine große Leidenschaft und ein Talent, das nach Umsetzung schreit. Ich kann durch meine Zeichnungen einen Dialog mit Menschen führen. Meine Mama sagt immer, dass die Bilder hübsch seien – und dann erschrickt sie über die Inhalte. Dass die Inhalte der schönen Oberfläche deutlich widersprechen, ist natürlich meine subversive Absicht.

Gerhard Haderer - Komische Künste Wien

ORF/Florian Kobler

Haderer zeigt in Wien seine Karikaturen zum Thema Österreich

wien.ORF.at: Sie nehmen sich für eine Zeichnung sehr viel Zeit. Ist der Arbeitsvorgang für Sie eine Qual?

Haderer: Im Schnitt benötige ich zwischen zehn und 15 Stunden für eine Zeichnung, ohne dabei die Ideenfindung mit einzuberechnen. Das ist für mich keine Arbeit, sondern eine intensive und glückliche Zeit. In dieser Zeit gibt es auch keine körperlichen Befindlichkeiten. Zumindest bin ich bisher noch nie vom Sessel gekippt (lacht). Früher habe ich daneben noch sechs bis sieben Kaffee getrunken und unzählige Zigaretten geraucht, aber das hat sich inzwischen geändert.

wien.ORF.at: Auch Ihre „Moff-Schundhefte“ sprechen die Menschen an. Dabei fehlt es diesen Zeichnungen an Glanz und Aufwand. Brauchen Sie diese Hefte als Ausgleich?

Haderer: Ich habe Moff erfunden, weil ich einfach einmal das pure Zeichnen gesucht habe und weg von der brillanten Darstellung wollte. Ich stellte mir die Frage, was mit dem Haderer passieren würde, wenn er einmal seine ganzen Glanzspiele weglässt und auf einem Stück Papier nur mit schwarzen Stift unterwegs ist.

wien.ORF.at: Wie sind Sie zum Zeichnen gekommen?

Haderer: Jeder Heranwachsende hat einige Auffälligkeiten. Ich hatte einmal den fälschlichen Eindruck, ich sei ein hochtalentierter Sportler. Später habe ich es mit Musik versucht und täglich bis zu zehn Stunden Schlagzeug geübt. Aber nachdem ich keine großen Fortschritte gemacht habe, ließ ich auch das bleiben. Schlussendlich habe ich das abgerufen, was mir am leichtesten viel - und das war Zeichnen. Meine Umgebung, speziell die Frauen, waren immer ganz fasziniert davon. Zeichnen ist das, was mir am unmittelbarsten und am leichtesten von der Hand geht. Ein Ausdrucksmittel, für das ich nicht kämpfen muss, sondern das einfach da ist.

Gerhard Haderer - Komische Künste Wien

ORF/Florian Kobler

wien.ORF.at: Stimmt es, dass Sie einmal alle Zeichnungen verbrannt haben, die Sie für Werbeagenturen anfertigen mussten?

Haderer: Ja, das war ein lustvoller Akt und eine große innere Befreiung. Danach habe ich einen telefonischen Rundruf gestartet und den Werbeleuten gesagt, dass ich ab sofort nicht mehr zur Verfügung stehe. Die haben damals gesagt, ich sei verrückt.

wien.ORF.at: Waren Sie unglücklich mit Ihrem Job?

Haderer: Ich war an der Fachschule für Gebrauchs- und Werbegraphik in Linz. Danach habe ich das gemacht, was ich gelernt habe. Nach dem Motto „Du musst zwar lauter Scheiß hackeln, aber dafür kannst du deine Familie ernähren.“ Und das habe ich gemacht, mit all den Ersatzbefriedigungen, die man sich dann zulegt. Ich war damals so eine Art Medienstar und habe viel Geld verdient. Schmerzensgeld würde ich das heute nennen. Ich hab mir lauter Blödsinn angeschafft. Und mit ungefähr 30 Jahren hatte ich einen hellen Moment. Ich dachte mir, dass ich draufgehen und mich verlieren würde, wenn ich so weitermachen würde. Also habe ich mich von den Werbeagenturen distanziert.

Gerhard Haderer / Komische Künste 2011

Gerhard Haderer / Komische Künste 2011

1994: Der umstrittene Bischof Kurt Krenn weiht – in Anwesenheit von Jörg Haider – die FPÖ-Zentrale in St. Pölten ein und erregt damit neuerlich großes Aufsehen.

wien.ORF.at: Gab es Politiker oder Prominente, die sich angebiedert haben, von Ihnen gezeichnet zu werden?

Haderer: Am Anfang gab es lange Zeit keine Reaktionen auf meine Zeichnungen. Die Leute dachten sich, da kommt einer, der uns nicht schöner oder lustiger zeichnet als wir sind, sondern etwas anderes wollte. Dann kamen die ersten Attacken und Beschimpfungen. Das war die erste Phase. Jetzt ist das ganz anders, fast das Gegenteil. Ich werde nur noch umarmt und vereinnahmt.

Ausstellungshinweis

„Haderers Österreich. Cartoons 1985-2010“, 2.12.2011 bis 22.1.2012, täglich 10.00 bis 19.00 Uhr, Freiraum/quartier21 im MuseumsQuartier. Zur Ausstellung ist ein Katalog (160 Seiten, 29,95 Euro) erschienen.

Inzwischen gibt es wirklich Politiker, die sich anbiedern. Die kommen dann und fragen mich, warum sie denn nie in meinen Zeichnungen vorkommen. Die bringen meiner Frau riesige Blumensträuße und schleimen sich ein. Aber das ist nicht die Regel. Ich möchte jetzt keine Namen nennen, denn würde ich das tun, würde ich einige von ihnen ruinieren. Viele kommen aus Oberösterreich, sind also direkt vor meiner Haustüre anzutreffen.

wien.ORF.at: Nach der Erscheinung Ihres Jesus-Buches gab es heftige Reaktionen. In Griechenland wurden Sie kurzzeitig sogar zu einem halben Jahr Haft verurteilt. Würden Sie dieses Buch nachträglich gesehen noch einmal zeichnen?

Haderer: Ja, aber präziser und schärfer, nicht mehr in meiner damaligen Naivität. Das Comic-Bändchen, das ich gemacht habe, war gedacht als eine Art Lockerungsübung für Katholiken. Ich wollte, dass sie einmal ein bisschen über sich selbst lachen können. Das war mein naiver Ansatz. Dass man versucht hat, mich dafür in meiner Existenz zu bedrohen, hat mich erschüttert. Stellen Sie sich vor: Ein einzelner Autor wird namentlich von der Kirche zu einer Entschuldigung aufgefordert, und dann gibt es noch ein Land in Europa, das ihn zu einem halben Jahr Haft verurteilt. Da haben sehr viele Kollegen und Literaten gemerkt, dass es in Wahrheit nicht nur um den mickrigen Anlass geht. Dieses Jesus-Buch war ja nur ein kleines Scherzerl. Ich habe ja ganz anderes Sachen gemacht, die eine ganz andere Kraft hatten wie dieses Büchlein.

Gerhard Haderer - Komische Künste Wien

ORF/Florian Kobler

wien.ORF.at: Kommen andere Religionen für zukünftige Zeichnungen in Frage?

Haderer: Nein, weil ich von den anderen Religionen nichts verstehe. Allgemein gesehen habe ich ein entspanntes Verhältnis zur Religion. Ich bin ein Agnostiker, es soll jeder glauben, was er will. Alle haben meinen Segen, solange sie mit ihrer Religion die Freiheit des Individuums einer Demokratie nicht einschränken.

wien.ORF.at: Zwei Bilder von Ihnen wurden bisher von Zeitungen abgelehnt. Wie stehen Sie dazu?

Haderer: Natürlich finde ich das nicht berechtigt, ich muss mich ja für meine Kinder einsetzen. (lacht) Ich habe in den letzten 25 Jahren 2.000 bis 3.000 Bilder gezeichnet und kann mich an jedes genau erinnern. Ich habe mit großer Hingebung daran gearbeitet und wollte mich zu bestimmten Themen äußern. Dass aber in all den Jahren nur zwei Stück von den Redaktionen abgelehnt wurden, ist doch eine gute Statistik. Es ist auch gut so, dass nicht alles gedruckt wird.

Gerhard Haderer - Komische Künste Wien

ORF/Florian Kobler

wien.ORF.at: Haben Sie sich selbst schon einmal gezeichnet?

Haderer: Pausenlos. Der Jesus ist ein Selbstporträt geworden, wenn man genau schaut (lacht). Nein, ich mach mich nicht zum Thema. Ich halte mich selbst für einen äußerst unwichtigen Zeitgenossen. Aber natürlich ist viel von mir in den Bildern drinnen. Selbstironie ist die Basis von dem, was ich mache.

wien.ORF.at: Wie stehen Sie zur wirtschaftlichen Weltentwicklung?

Haderer: Ich gehe seit 30 Jahren auf keine Bank. Das zeigt, wie ich zu den Entwicklungen stehe. Die Geldwirtschaft, die wir heute haben, ist am Ende und funktioniert einfach nicht mehr. Jeder kann es sehen und niemand reagiert darauf. Ich frage mich, auf was die Leute warten. Darauf, dass ihnen alles um die Ohren fliegt oder warten sie bis Blut fließt? Das ist jetzt ein bisschen übertrieben, aber wenn man länger darüber nachdenkt, stimmt das schon. Vor Kurzem hat Angela Merkel in Deutschland ganz schnell vor öffentlichem Fernsehpublikum erklären müssen, dass alle Sparguthaben garantiert sind. Wenn sie das nicht gemacht hätte, hätten die Deutschen die Banken gestürmt. Das ist Gruseln pur.

Gerhard Haderer - Komische Künste Wien

ORF/Florian Kobler

wien.ORF.at: Verarbeiten Sie mit ihren Bildern Themen, die Ihnen Angst bereiten?

Haderer: Es ist meine Form von Aggressionsabbau. Ich habe ein Ventil, das ist meine Arbeit. Und immer wenn der Druck in meinem Schädel zu groß ist, kann ich durch dieses Ventil Dampf ablassen. Das ist es wirklich. Geldwirtschaft kann man nicht zu Ende denken ohne depressiv zu werden. Da braucht man so ein Ventil. Da lacht man über seine eigene Scheiße, in der man steckt. Das ist wirklich so. Und über Dinge, die uns Angst machen. Kinder, die in den Keller gehen und sich fürchten, pfeifen auch ein Liedchen.

Das Interview führte Florian Kobler, wien.ORF.at

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