Gefahrenpotenzial bei Wegweisungen steigt

548 Anträge auf Wegweisungen haben die zwölf Wiener Bezirksgerichte im Vorjahr außerhalb von Scheidungsverfahren behandelt, heuer waren es schon 283. Die Fälle mit erhöhter Gefährlichkeit sind deutlich gestiegen.

Mehr Fälle mit erhöhter Gefährlichkeit gibt es nach Erkenntnissen der Richter nicht allein in Zusammenhang mit Scheidungen, sondern auch im sozialen Nahbereich. Aggressiver geht es auch beim Stalking zu.

Mehr Opfer leiden so schwer an den Folgen beharrlicher Verfolgung, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ihrem Beruf nachzugehen. „Diese Entwicklung macht uns Sorgen“, sagte Gabriela Thoma Twaroch vom Bezirksgericht Josefstadt am Mittwoch bei einer Pressekonferenz.

Betretungsverbot nach zwei Wochen

Im Fall von häuslicher Gewalt hat die Polizei die Möglichkeit, den „Gefährder“ aus der Wohnung und der unmittelbaren Umgebung zu weisen und ein Betretungsverbot auszusprechen, Wenn Kinder im Haushalt leben, verständigt die Polizei das Jugendamt, das Opfer wird auf die Möglichkeit hingewiesen, sich an eine Opferschutzeinrichtung zu wenden.

Das Betretungsverbot tritt nach zwei Wochen außer Kraft, wenn das Opfer in dieser Zeit keinen Antrag auf eine gerichtliche Wegweisung stellt. Das Gericht kann dem Gefährder den Aufenthalt auch an Orten wie Arbeitsplatz oder Schule der Kinder verbieten.

Analyse bei jedem einzelnen Fall

Schutz sei dann möglich, wenn Polizei, Gericht und Opferschutzeinrichtung richtig zusammenarbeiten, sagte Thoma-Twaroch. Bei der Einschätzung des Gefährdungsgrads müsse jeder einzelne Fall analysiert werden, sagte die Richterin, die sich gegen einen Automatismus ausspricht.

Wesentlich sind Angaben des Opfers, das sich dann schwertut auszusagen, wenn es traumatisiert ist: Wie man mit solchen Fällen umgeht, wissen die Mitarbeiter der Opferschutzeinrichtungen, für Richter gibt es spezielle Schulungen, damit sie diese Fälle von Traumatisierung erkennen können. Für dringend notwendig halten Familienrichter, dass Opfern, die sich keinen Anwalt leisten können, auch in Zivilverfahren juristische Begleitung zur Verfügung gestellt wird.

Ist weitere Gewalt nicht auszuschließen, sollten Opfer in ein Frauenhaus übersiedeln, sagte Thoma-Twaroch. Sie berichtete von einem Fall aus ihrer Praxis, in dem sie einer Frau an einem Freitag dringend zu diesem Schritt riet, diese mit ihren Kindern wegen der damit verbundenen Umstände erst nach dem Wochenende übersiedeln wollte. „Am Montag habe ich die Verständigung vorgefunden, dass die Frau verletzt in einem Krankenhaus liegt“, sagte die Richterin.

Wegweisungen mehrheitlich befolgt

„Das Gros der Wegweisungen wird befolgt“, hielt Marlene Perschinka, Präsidenten des Landesgerichts für Zivilrechtssachen, fest. Zu 100 Prozent lassen sich Gewalttaten nicht verhindern - auch wenn einem Gewalttäter vom Gericht verboten werden kann, sich überall dort aufzuhalten, wo er sein oder seine Opfer treffen kann.

Thematisiert wurde das Problem nach dem Fall des Achtjährigen, der am 25. Mai in seiner Schule in Sankt Pölten von seinem Vater durch einen Kopfschuss tödlich verletzt worden war: Selbst wenn in diesem Fall ein Kontaktverbot bestanden hätte: Dessen lückenlose Einhaltung ist praktisch nicht kontrollierbar.

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