Wiener Projekte gegen Armut

Jeder fünfte Wiener ist armutsgefährdet - ein Spitzenwert in Österreich. Doch ab wann gilt man eigentlich als arm? Und welche Initiativen gibt es in Wien, um Armut entgegenzuwirken? wien.ORF.at hat einen Überblick.

300.000 Wienerinnen und Wiener sind armutsgefährdet. Das ist fast jeder fünfte Einwohner der Stadt. Damit liegt Wien bei der Armutsgefährdung österreichweit klar an der Spitze - nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch im Verhältnis zur Einwohnerzahl. 185.000 Wiener sind sogar „manifest arm“, wie zahlen der EU-Sozialerhebung EU-SILC zeigen. Doch was kann man sich hinter den Begriffen dieser Statistik vorstellen?

Armutsgrenze

Die Armutskonferenz

Bezieher der Mindestsicherung gefährdet

Die finanzielle Schwelle, ab der man gefährdet ist, arm zu sein, liegt derzeit bei einem monatlichen Einkommen von 1.031 Euro. Alle Bezieher der Mindestsicherung - sie beträgt derzeit 773 Euro - fallen damit in die Gruppe der armutsgefährdeten Personen. Von Armut spricht die Statistik, wenn niedriges Einkommen auch mit spürbaren Einschränkungen im täglichen Leben verbunden ist. Dazu gehört etwa, regelmäßige Rechnungen - zum Beispiel die Mietkosten - nicht bezahlen zu können. Auch die eigene Wohnung in den Wintermonaten nicht angemessen heizen zu können, ist eine solche Einschränkung.

Von Armut Betroffene können oft auch nötige Arzt- oder Zahnarztbesuche nicht in Anspruch nehmen und keine unerwarteten Ausgaben tätigen. Auch alte, abgetragene Kleidung nicht durch neue ersetzen zu können, gehört zur Definition von Armut.

Zahlreiche Aspekte der Armut scheinen in der Regel aber nicht in Statistiken auf: So sind arme Menschen in der Regel häufiger krank und haben eine deutlich niedrigere Lebenserwartung als Menschen mit höheren Einkommen. Arme Menschen leben oft in überbelegten, feuchten oder sogar schimmligen Wohnungen, weil beispielsweise das Geld für eine Wohnraumsanierung fehlt, was wiederum negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Kurzum: Armut kann zum Teufelskreis werden.

Frau bettelt auf einer Brücke in Wien-Hütteldorf

APA/Helmut Fohringer

Migranten und Mütter besonders gefährdet

Einige gesellschaftliche Gruppen sind besonders armutsgefährdet. Dazu zählen etwa alleinerziehende Elternteile, wobei mehr als 90 Prozent davon Frauen sind. Auch Migrantinnen und Migranten sind überdurchschnittlich oft von Armut betroffen. Die Armutsgefährdung steigt dabei nochmals, wenn Menschen aus einem Land außerhalb der EU nach Österreich eingewandert sind.

In Wirtschaftskrisen wie der aktuellen geht die viel zitierte Schere zwischen arm und reich weiter auseinander, wie etwa die Studien des britischen Sozialwissenschaftlers Tony Atkinson zeigen. Das Risiko für Menschen, durch soziale Netze zu fallen, ist seit Ausbruch der aktuellen Wirtschaftskrise im Jahr 2008 generell gestiegen.

Die Initiativen im Überblick

Sitz im Spendenparlament für 75 Euro

In Wien bieten verschiedene Organisationen Projekte, um Armut zurückzudrängen oder Menschen, die von Armut betroffen sind, zu unterstützen.

Eines dieser Projekte ist das „Wiener Spendenparlament“. Der Verein ist auf freiwilligen Spenden aufgebaut und hat den Zweck, karitative Projekte und Initiativen zu unterstützen. Das Prinzip funktioniert so: Wer mindestens 75 Euro im Jahr spendet, erwirbt einen „Sitz“ im Spendenparlament. In jährlichen Versammlungen stimmen die Spender darüber ab, welche sozialen Projekte unterstützt werden und wie viel Geld die jeweiligen Initiativen erhalten.

Seit der Gründung im Jahr 1998 wurden so 110.000 Euro an 35 Projekte für Menschen in Not vergeben. Weil die „Parlamentarier“ selbst bestimmen, wofür ihre Spenden eingesetzt werden, ist die Verwendung der Mittel transparent. Spender können dadurch auch direkten Kontakt zu den Menschen suchen, die sie unterstützen.

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Der Aufenthaltsraum der Gruft

APA/Georg Hochmuth

Der Aufenthaltsraum der Gruft

Warme Mahlzeiten in der Gruft

Eines der bewährtesten sozialen Projekte in Wien ist die Gruft in Mariahilf. Die von der Caritas betriebene Betreuungseinrichtung bietet obdachlosen Menschen seit mehr als 25 Jahren eine warme Mahlzeit, einen Schlafplatz und rund um die Uhr eine Aufenthaltsmöglichkeit im Warmen. Von Armut betroffene Menschen finden in der Gruft außerdem Waschmöglichkeiten, saubere Kleidung und können Beratung von Sozialarbeitern, Ärzten und Therapeuten in Anspruch nehmen. Seit vergangenen Sommer wird die Einrichtung umgebaut und vergrößert.

Jedes Jahr im Winter gibt es außerdem die Aktion „Gruft-Winterpaket“: Mit einem Betrag von 50 Euro können Spender einem obdachlosen Menschen einen warmen Winterschlafsack und eine warme Mahlzeit finanzieren - mehr dazu in: Gruft startet Aktion „Winterpaket“

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Wiener Tafel bringt Lebensmittel

Ein gut bewährtes Konzept hat auch die Wiener Tafel: Die Organisation sammelt mit zahlreichen freiwilligen Helfern Lebensmittel ein, die in Supermärkten oder Bäckereien übrig bleiben und bringt sie dort hin, wo sie dringend benötigt werden: zu bedürftigen Menschen in sozialen und karitativen Einrichtungen, die sie dort kostenlos erhalten. Zu den belieferten Einrichtungen zählen etwa Notschlafstellen, Asyleinrichtungen oder Flüchtlingsheime.

Die übrig gebliebenen Nahrungsmittel sind zum Beispiel Produkte kurz vor dem Erreichen des Haltbarkeitsdatums, die Konsumenten am Supermarktregal nicht mehr kaufen. Auch Brot, das bei Bäckern bis Ladenschluss nicht verkauft wurde, sammelt die Wiener Tafel ein und transportiert es dort hin, wo es gebraucht wird.

Die Wiener Tafel

Wiener Tafel

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Das Häferl nach dem Häf’n

„’s Häferl“ in Mariahilf hat sich seit 1988 der Aufgabe verschrieben, Haftentlassenen dann zu helfen, wenn sie es am nötigsten brauchen - nämlich direkt nach der Freilassung. Auch alle anderen Menschen sind aber in der Einrichtung willkommen, die an vier Tagen pro Woche geöffnet hat. Neben kostenlosem Essen und Kleidung bietet ’s Häferl auch Selbsthilfegruppen und Beratung durch Sozialarbeiter.

Die von der Diakonie betriebene Einrichtung organisiert auch regelmäßig Lesungen und Ausstellungen in den eigenen Räumlichkeiten, eine freie Malgruppe oder einen karitativen „Gefängnislauf“. Für alle, die gerne selbst etwas für andere Menschen tun, aber statt Geld- oder Sachspenden lieber etwas von ihrer Zeit zur Verfügung stellen, organisiert ’s Häferl „soziale Kochrunden“. Interessierte können dabei nicht nur Mahlzeiten in leere Mägen bringen, sondern auch Lebensgeschichten und Schicksale anderer Menschen kennenlernen.

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Ärztliche Hilfe auch ohne Krankenversicherung

Für Menschen, die nicht krankenversichert sind, kann ein Arztbesuch teuer werden. Gerade jenen, denen die Versicherung fehlt, fehlt aber in aller Regel auch das Geld, um medizinische Hilfe oder Medikamente bezahlen zu können. Deshalb bietet „AmberMed“ auch jenen 100.000 Menschen in Österreich ambulante medizinische Versorgung an, die nicht krankenversichert sind.

In der Oberlaaer Straße in Wien-Liesing betreut ein ehrenamtliches Team aus Ärzten und Therapeuten bei gesundheitlichen Problemen auch ohne Krankenschein. Weil viele Menschen ohne Versicherungsschutz Migrationshintergrund haben und mitunter schlecht deutsch sprechen, sind auch immer ehrenamtliche Dolmetscher anwesend - neben Bosnisch/Kroatisch/Serbisch etwa auch für Türkisch, Arabisch oder Rumänisch.

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Hunger auch auf Kunst

Weil auch Menschen mit finanziellen Engpässen gerne kulturelle Impulse bekommen, gibt es seit acht Jahren die österreichweite Initiative „Hunger auf Kunst und Kultur“. Gegen Vorweis eines Kulturpasses können Menschen mit wenig Geld kostenlos Ausstellungen, Veranstaltungen, Konzerte und Kinovorstellungen besuchen. Allein in Wien gibt es derzeit 22.000 Kulturpass-Besitzer und mehr als 160 Kulturpartner.

Sendungshinweis

„Wien heute“, 24. November 2012

Der Kulturpass wurde vom Schauspielhaus und der Armutskonferenz initiiert und steht Menschen zu, die unter der Armutsgrenze leben, die Sozialhilfe oder Mindestpension beziehen. Auch Bezieher der Notstandshilfe und Flüchtlinge können sich bei zahlreichen sozialen und karitativen Einrichtungen in Wien einen Kulturpass ausstellen lassen.

Armutsgrenze im Museum

Die Armutskonferenz

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