Edith Tudor-Harts Waffe: Die Kamera

Einer großen Vertreterin der Arbeiterfotografie-Bewegung ist eine Ausstellung im Wien Museum gewidmet: Erstmals zu sehen ist ein Überblick über das Werk Edith Tudor-Harts, in der Szene auch mit ihrem Mädchennamen Edith Suschitzky bekannt.

Selbstporträt, London, um 1936
 Edith Tudor-Hart

Scottish National Portrait Gallery

Edith Tudor-Hart, Selbstporträt

Der Karl-Marx-Hof und das Freizeitparadies Lobau als Leuchttürme des Roten Wien, Kriegsveteranen, die sich als Jo-Jo-Verkäufer durchschlagen, Fotos aus der Bergbau- und Schiffsbauregion Tyneside in England, die von erdrückenden wirtschaftlichen Verhältnissen erzählen: Ihre Fotos „zeugen von einer technisch versierten Fotografin, die Themen wie die Entbehrungen der Arbeiterklasse und die reformorientierte Kultur der österreichischen Sozialdemokratie ebenso erkundete wie die Bedrohung durch militaristische und faschistische Kräfte“, so der Fotohistoriker Anton Holzer.

Lange Zeit waren ihre Arbeiten verschollen, fast vergessen und daher kaum beachtet. Ihrem heute 101 Jahre alten Bruder, dem Kameramann Wolfgang Suschitzky, ist die Wiederentdeckung zu verdanken. Er übergab 2004 zahlreiche Negative den Scottisch National Galleries. Nun sind die Bilder erstmals in Österreich im Rahmen einer Personale im Wien Museum zu sehen.

Demonstration von Arbeitslosen, Wien 1932

Scottish National Portrait Gallery / Archive presented by Wolfgang Suschitzky 2004

Demonstration von Arbeitslosen, Wien 1932

Kommunistin, Agentin, Fotografin

Geboren 1908 in Wien, wuchs Edith Suschitzky in einem jüdischen Elternhaus auf. Ihr Vater betrieb eine Arbeiterbuchhandlung in Favoriten und einen revolutionären Verlag. Sie knüpfte bereits als Teenager Kontakte zur KPÖ und zur Kommunistischen Internationale, war von Anfang auch für den Geheimdienst tätig. Vermutlich ein Studienaufenthalt am Bauhaus in Dessau Ende der 1920er Jahre dürfte sie zur Fotografie gebracht haben. Ihre ersten Aufnahmen entstanden um 1930. In der Zeit begann sie eine Karriere als Fotoreporterin für Illustrierte.

Von Anfang an benützte sie die Kamera als politische Waffe, um Missstände zu dokumentieren, wagte etwa auch Blicke in die von der Sozialdemokratie oft verschwiegenen, aber nach wie vor bestehenden Elendsquartiere in Wien als Kontrast zu den propagierten „Arbeiterpalästen“ und fotografierte etwa in Obstkisten schlafende Kinder. Die Kommunistin arbeitete für sozialdemokratische Medien wie den „Kuckuck“, war für die sowjetische Agentur TASS tätig und auch als Agentin.

Als die österreichische Regierung 1933 gegen Nazis und Kommunisten vorging, wurde sie verhaftet. Noch im selben Jahr heiratete sie den englischen Arzt Alexander Tudor-Hart, 1934 gelang die Flucht nach Großbritannien.

Mädchen, vor einer Bäckerei, London, um 1935

Scottish National Portrait Gallery / Archive presented by Wolfgang Suschitzky 2004

Mädchen vor Bäckerei, 1935

Exil in Großbritannien

Sie begleitete ihren Mann nach Südwales, wo er im Kohlerevier als Arzt arbeitete. Ihre Bilder zeigen Szenen aus von der Wirtschaftskrise besonders stark betroffenen Regionen, von Dörfern, in denen neun von zehn Männer keine Arbeit hatten. Mit ihren Fotos hob sie sich deutlich vom Mainstream der britischen Fotografie ab, die damals von bürgerlicher, süßlich-gefühliger Ästhetik geprägt war.

Tudor-Hart machte den Unterschied zwischen Arm und Reich mit einem schmuddeligen Mädchen vor einem übervollen Bäckereischaufenster oder der Gegenüberstellung eines Hundesalons mit einem verwahrlosten Hinterhof deutlich. Mit ihren Reportagen habe sich Tudor-Hart in die Geschichte der politischen Fotografie Großbritanniens eingeschrieben, sagte Kurator Duncan Forbes. Freilich blieben ihr zeitlebens große Anerkennung und erwähnenswerte Einkünfte verwehrt.

Karriereende als „zermürbte Frau“

Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte sich die Fotografien neben der Arbeiterfotografie auf die Arbeit mit Kindern. Agenturen wie die British Medical Association beschäftigten sie, die Kinder im Gegensatz zur damals üblichen statischen Porträtfotografie im Studio natürlich und lebendig aufnahm.

Weiters war Tudor-Hart als sowjetische Agentin niederen Ranges tätig. 1951, nachdem der sowjetische Spion Kim Philby erstmalig verhört worden war, zerstörte sie aus Angst vor Verfolgung die meisten ihrer Fotos und viele Negative. „Ihr Leben als Partisanin der sowjetischen Sache endete für sie als besiegte und zermürbte Frau“, so Forbes. Ab Ende der 1950er Jahre veröffentlichte sie keine Fotos mehr. Ihre letzten Lebensjahre bis zu ihrem Tod 1973 verbrachte sie als Antiquitätenhändlerin in Brighton.

Aus der Serie „Moving and Growing“ [»Sich bewegen und wachsen«], 1951

Wien Museum

Aus der Serie „Moving and Growing“ (Sich bewegen und wachsen), 1951

Vierte Personale über Fotografin

Die Schau „Edith Tudor-Hart. Im Schatten der Diktaturen“ ist nach Barbara Pflaum, Elfriede Mejchar und Trude Fleischmann die vierte Personale, die das Wien Museum einer großen österreichischen Fotografin widmet. Die Ausstellung, die zuvor bereits in Edinburgh zu sehen war, gibt erstmals einen Überblick über das Werk einer faszinierenden Künstlerpersönlichkeit.

Veranstaltungshinweis:

Edith Tudor-Hart. Im Schatten der Diktaturen. 26.9.2013 bis 12.1.2014. Wien Museum am Karlsplatz.

Entstanden ist die Ausstellung in Kooperation mit den National Galleries of Scotland. Kuratiert wurde sie von Duncan Forbes, dem langjährigen Hauptkustos für Fotografie an den National Galleries of Scotland und neuem Leiter des Fotomuseums Winterthur.

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