Archäologen legten Friedhöfe frei

Mit der großen Hygienereform von Kaiser Joseph II. verschwanden viele Friedhöfe innerhalb des Gürtels. Durch die Zuschüttung schützte man die Bevölkerung vor Krankheiten. Sechs vergessene Ruhestätten haben Stadtarchäologen ausgegraben.

„Wir können uns nicht aussuchen, wo wir graben“, erklärte Karin Fischer-Ausserer, Leiterin der Wiener Stadtarchäologie, im APA-Interview. Stattdessen werde die Abteilung immer dann angerufen, wenn bei Bauarbeiten plötzlich Knochen, Ruinen oder Fundamente auftauchen. So etwa geschehen beim Umbau des Bundesrealgymnasiums Marchettigasse in Mariahilf: Beim Aufgraben des Hofes stießen die Arbeiter dort auf jede Menge Knochen und menschliche Überreste.

Diese erwiesen sich schließlich als Friedhof des ehemaligen Militärspitals in der Gumpendorfer Straße. Mit solchen Ausgrabungen könne man nicht nur einiges über die im 17. und 18. Jahrhundert üblichen Bestattungsriten sagen, sondern auch viele anthropologische Aussagen treffen, schilderte Fischer Ausserer. „Bei den Soldaten des Mariahilfer Friedhofes wurden beispielsweise grobe Mangelerscheinungen wie etwa Zahnfleischschwund festgestellt. Die Versorgung der Armee dürfte also nicht besonders gut gewesen sein“, so die Leiterin der Stadtarchäologie.

Grabungen zeigen Bestattungsriten

Die Ergebnisse der Grabungen sind auch im neuesten Band der Reihe „Wien Archäologisch“ nachzulesen. Dieser wird am Donnerstag präsentiert, am gleichen Tag wird eine Ausstellung zur Geschichte der sechs freigelegten Friedhöfe eröffnet.

Neben dem Soldatenfriedhof stießen die Stadtarchäologen auch auf drei letzte Ruhestätten im Bereich der Sensengasse im Alsergrund, den Friedhof zu St. Ulrich in der Zollergasse in Neubau und einen Friedhof bei der Hernalser Kalvarienbergkirche. „Gemeinsam haben die Gräber, dass sie vor allem für Begräbnisse der ärmeren und bürgerlichen Bevölkerung genutzt wurden“, sagte Fischer-Ausserer. Denn Klerus und Adelige wurden damals noch nicht in der Erde, sondern eher in Gruften oder eigenen Totengebäuden zur letzten Ruhe gebettet.

Dementsprechend fanden die Wissenschafter vor allem einfache Holzsärge, Bekleidungsreste und schlichte Kreuze oder Totenkronen. Aus diesen Funden lässt sich etwa auf Bestattungsriten schließen: „Bis ins 16. Jahrhundert nähte man die Leichen schlicht in Totensäcke aus Leinen ein. Später begann man, die Toten auch zu bekleiden, um sie für ihre Vereinigung mit Gott im Nachleben passend auszustatten“, führte die Archäologin aus.

Abgetrennte Bereiche für Kindergräber

Die ältesten Gräber dieser Untersuchungen stammen vom Bäckenhäusel Gottesacker im Alsergrund. Nahe der Sensengasse fanden die Stadtarchäologen im Zuge der Bauarbeiten am Universitätssportinstitut 2005 und 2006 auch noch zwei weitere Friedhöfe: den Spanischen Friedhof sowie den Neuen Schottenfriedhof. Auf diesen drei Ruhestätten seien alle Arten von Gräbern vertreten: Einerseits einfache Schachtgräber, in denen die Toten mit Blick nach Süden nebeneinandergereiht wurden, andererseits Massengräber, die vor allem in Zeiten von Seuchen und Epidemien als rasche Totenlager dienten.

„Hier wurden die Toten übereinandergelegt, mit Kalk bestreut und möglichst schnell weitere Leichen hineingeschlichtet - auch um Ansteckung zu verhindern“, erklärte Fischer-Ausserer. Auch eigens abgetrennte Bereiche für Kinder und Kleinkinder sowie das Fundament und der Kellerbereich einer Friedhofskirche kamen bei den Grabungen zum Vorschein.

Wanderausstellung wird geplant

Die Ausstellung in der Fachbereichsbibliothek Bildungswissenschaft, Sprachwissenschaft und Vergleichende Literaturwissenschaft in der Sensengasse konzentriert sich auf jene Grabungen, die in der Umgebung stattfanden. Danach soll die Schau weiter wandern. „Es ist wunderschön wenn man den Menschen zeigen kann, was sich früher hier befunden hat“, erklärt die Stadtarchäologie-Leiterin diesen Zugang. Beleuchtet wird auch der Umgang mit diesen Funden in der Vergangenheit: „Stieß man auf Knochen, wurde oft zuplaniert und drübergebaut“, meinte Fischer-Ausserer. Ein gutes Beispiel dafür sei etwa die Errichtung der neuen Kalvarienbergkirche.

Das Buch und die Ausstellung „Der Tod ist erst der Anfang“ werden am 12. Juni, 19 Uhr in der Fachbereichsbibliothek Bildungswissenschaft, Sprachwissenschaft und Vergleichende Literaturwissenschaft, Sensengasse 3a, 1090 Wien, präsentiert.

Heute werden die gefundenen Knochen sorgfältig ergraben sowie ihre Fundstellen erfasst und fotografiert. Danach gelangen sie zur anthropologischen Untersuchung, um Rückschlüsse auf Geschlecht, Alter und andere Daten zu ziehen. Sind alle Analysen abgeschlossen, werden die Knochen eingeäschert und im Bereich der namenlosen Toten am Zentralfriedhof wieder bestattet.

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