Baumafia: „Paradefall für Kriminalität“

Als „Paradefall für organisierte Abgabenkriminalität“ haben Ermittler der Finanzpolizei und des Wiener Landeskriminalamts ein österreichweites Baumafia-Netz bezeichnet. Vier Täter sind in Haft, 140 Mio. Euro an Steuerschaden wurden verursacht.

Zig Scheinfirmen, 7.500 Scheinanmeldungen, 2.600 Scheinrechnungen, rund 30 Beitragstäter, weitere Prozesse - die 2012 gestarteten Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Die Erhebungen starteten auch wegen eines Drogendelikts, „Kommissar Zufall“ habe aber keine Rolle gespielt, ein internes Frühwarnsystem habe unter anderem wegen einer extrem hohen Zahl von (Schein-)Anmeldungen Alarm geschlagen, hieß es am Mittwoch vor Journalisten in Wien.

Aufgedeckt hatten die Causa die Finanzpolizei und das Landeskriminalamt (LKA) Wien. Mit den Scheinanmeldungen dürften teils auch Aufenthaltstitel erschlichen worden sein. Durch verhältnismäßig hohe Anmeldungen über KV - das fiel den Ermittlern ebenso auf - wurde auch ein erhöhtes Arbeitslosengeld erschlichen. Rund 25 Prozent der Dienstnehmer waren nie arbeitend tätig.

Scheinanmeldungen von Arbeitern

Zahlte der ungerechtfertigt Angemeldete zu Monatsende nicht, so wurde er rückwirkend mit Monatsanfang abgemeldet - vom tatsächlichen Beschäftiger wurden die Dienstnehmer „schwarz“ ausgezahlt, sie genossen aber Sozial- und Transferleistungen, und das sogar in besonderem Ausmaß, da meist über Kollektivvertrag angemeldet wurde. „Bei einer der Bauscheinfirmen gab es überhaupt nur Anmeldungen von Angestellten“, sagte Finanzpolizei-Chef Wilfried Lehner.

Für eine Scheinanmeldung - Betrugsmuster eins der Täter - hätten die Haupttäter von vermeintlichen Dienstnehmern sieben Euro pro Tag, also rund 300 Euro im Monat, verlangt. So hätten sie „alleine aus diesem Betrugstitel rund drei Mio. Euro pro Jahr“ mafiös verdient. Bis festgestellt wird, dass eine Firma eigentlich vermögenslos ist, dauert es schließlich rund ein halbes Jahr.

Krankenkassenanmeldungen in Lokalen verkauft

„Läufer“, wie sie die Ermittler im Betrugsmuster zwei der Täter nennen, verkauften Gebietskrankenkassenanmeldungen in mehreren Wiener Lokalen an Interessierte. Je nach erwünschtem Entgelt (für das Erschleichen von Sozialleistungen) kosteten diese zwischen 300 und 500 Euro im Monat. Die Anmeldung für die Erlangung der E-Card und als Einkommensnachweis - der oft der Aufnahme von Krediten diente, die nicht zurückbezahlt wurden oder für Leasingverträge für Autos, die in den Osten verschoben wurden und nie mehr auftauchten - kam praktisch per Post.

Dazu kamen noch das „Körberlgeld“ durch 2.600 Scheinrechnungen - Betrugsmuster drei - in Höhe von insgesamt 25 Mio. Euro und Vorsteuerbetrug von „noch ein paar hunderttausend Euro“, sagte Finanzpolizei-Chef Lehner. Allen Scheinrechnungen gemein seien deren Überweisung und folgende Kickback-Zahlungen in Höhe von zehn bis 30 Prozent der Rechnungssumme.

Greifbar ist vom kriminell angehäuften Vermögen aber offenbar nicht mehr viel - ein Auto habe man beschlagnahmt. „Wir hoffen noch auf mehr“, so Lehner. Auf die bereits Verurteilten - die Haftstrafen liegen laut Kramer bei vier und drei Jahren bzw. 28 und zehn Monaten - kommen noch die finanzstrafrechtlichen Prozesse in den kommenden Monaten zu. Unter anderem wurden die Täter wegen verschiedener Betrugsdelikte, Urkundenfälschung und Suchtgifthandels verurteilt.

Sachverhalte bis zum Jahr 2007 zurück

Die Täter sind zwischen 55 und 60 Jahre alt, haben laut den Ermittlern keine auffälligen Lebensgeschichten und sind allesamt Österreicher. Einer der beiden Haupttäter war ein gewerblicher Buchhalter, der den Behörden wegen „augenscheinlicher Ungereimtheiten bei der Anmeldung von Dienstnehmern“ aufgefallen war, so Kramer. Der Buchhalter hatte laut Unterlagen des Innenministeriums und des Finanzministeriums auch praktisch unzählige Scheinfirmen gegründet. Bei deren Namensgebung war er wenig kreativ - er nannte die Firmen nach dem Alphabet A Gmbh; mit Tochter A2 GmbH und so weiter - zumindest 54 an der Zahl.

Die finanzpolizeilichen Ermittlungen gemeinsam mit dem Landeskriminalamt Wien zu genau diesem Fall fanden im Jahr 2012 und 2013 statt. Im Rahmen dieser Ermittlungen sind Einzelfälle aufgetaucht, deren Sachverhalte bis ins Jahr 2007 zurückreichen. Bei dem Prozess, der abgabenrechtlich bevorsteht, rechnen die Ermittler mit weiteren Verurteilungen.

Bis zu 7.500 Einvernahmen

Die Auswirkungen der Betrugsmuster laut Rudolf Unterköfler, Leiter der Sektion Wirtschaftskriminalität im Innenministerium: keine Lohnabgaben, GKK- und BUAK-Beiträge bei voller Versicherungsleistung im Krankheitsfall auch für die Familie, ungerechtfertigte Forderungen an den Insolvenzentgeltausgleichsfonds, ungerechtfertigter und überhöhter Arbeitslosengeldbezug, ungerechtfertigte Arbeitnehmerveranlagung, ungerechtfertigter Familienbeihilfenbezug, ungerechtfertigter Erwerb von Pensionszeit und weiters Betrügereien wie Kredit- und Leasingbetrug, bei Handyverträgen, Aufenthaltstiteln, Gläubigerschädigung.

Im Extremfall müssten 7.500 Personen einvernommen werden, sagte Kramer. In sehr vielen Fällen sei aber dokumentiert, ob jemand tatsächlich gearbeitet habe oder nicht. Pro Dienstnehmer kann laut den Ermittlern von 9.000 Euro Schaden ausgegangen werden, durch die Hinterziehung der Lohnsteuer und der Dienstgeberbeiträge. Das finale Ausmaß des Falles der organisierten Kriminalität scheint noch gar nicht klar.