1989: Exil-Tschechen feierten im „Nachtasyl“

Am Abend der „Samtenen Revolution“ in der Tschechoslowakei, am 24. November 1989, haben die Dissidenten im Exil im „Nachtasyl“ in der Stumpergasse in Wien-Mariahilf gefeiert. In dem Kellerlokal kamen damals prominente Exilanten wie Pavel Kohout und Karel Schwarzenberg zusammen.

„Wir konnten es gar nicht glauben. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Das war wirklich völlig unvorstellbar für uns bis dahin“, erinnert sich der Wirt des „Nachtasyls“, Jiri Chmel, 25 Jahre später an den Rücktritt der kommunistischen Parteispitze.

Der gelernte Geophysiker war selbst ein Regimegegner und Aktivist der Menschenrechtsbewegung „Charta 77“, weshalb er Anfang der 1980er Jahre wie viele andere zur Auswanderung gedrängt wurde.

Kellerlokal wurde 1987 eröffnet

„Ich hatte bereits 18 Monate im Gefängnis gesessen, und die Geheimpolizei machte Druck auf meine Familie, damit ich das Land verlasse“, so Chmel. Andernfalls hätte er erneut drei bis fünf Jahre in Haft müssen - das geht aus den Akten der Staatssicherheit hervor, die er vor kurzem einsehen konnte. „Natürlich wusste ich nicht, dass es nur mehr sieben Jahre dauern würde zur ,Samtenen Revolution‘. Das glaubte damals kein Mensch“, so Chmel, der 1982 mit seiner Frau und ihrem sechs Monate alten Sohn nach Wien kam.

Nachtasyl

Nachtasyl

Das Kellerlokal in seiner Anfangszeit

Der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky bot den Unterzeichnern der „Charta 77“ politisches Asyl in Österreich an. Da die Dissidenten, die sich auch von Wien aus politisch weiterhin engagierten und etwa die Exilzeitung „Paternoster“ herausgaben, einen Raum haben wollten, eröffnete er im September 1987 das „Nachtasyl“ in der Stumpergasse im sechsten Bezirk.

Konzerte von Exil-Liedermachern

Schnell wurde es zum weit über die Grenzen Wiens hinaus bekannten Treffpunkt der tschechoslowakischen Diaspora und bot eine Bühne für die in ihrer Heimat verbotene Underground-Kultur. Bekannte exilierte Liedermacher wie Karel Kryl, Jaroslav Hudka und Vlastimil Tresnak traten hier auf. Einige Konzerte seien live aus dem „Nachtasyl“ im Radio Free Europe übertragen worden, erzählt Chmel.

Nicht jedem heutigen Besucher des verrauchten Kellerlokals, das von Montag bis Samstag bis 4.00 Uhr geöffnet hat und genauso aussieht wie damals, ist bewusst, welche prominenten Gäste sich in dem legendären Lokal einst versammelten. Neben dem Schriftsteller Pavel Kohout war auch der kürzlich verstorbene Burgschauspieler und Dramatiker Pavel Landovsky sowie der Fürst und spätere tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg hier Stammgast.

Vaclav Havel kam als Präsident

Vaclav Havel, der noch im Dezember 1989 zum tschechoslowakischen Präsidenten gewählt wurde, kam bei seinem ersten Staatsbesuch in Österreich direkt von der Hofburg in das Lokal. „Ich selbst musste erst Präsident werden, um das Nachtasyl besuchen zu können,“ sagte er später in einem Interview mit dem Schriftsteller Josef Haslinger, der dem Lokal und seinen Stammgästen 2010 eine halbstündige TV-Doku widmete.

„Es war wie das Kaffeehaus im Film ,Casablanca‘, wo sich die üblichen Verdächtigen getroffen haben. So war es und ist es noch immer“, so Schwarzenberg zum Jahrestag. „Ich liebe das ,Nachtasyl‘.“ Auch in den Tagen der Revolution verfolgten die Dissidenten die Geschehnisse in ihrer Heimat mit Spannung von Wien aus im ,Nachtasyl‘, da sie nicht in die Tschechoslowakei einreisen durften.

Wirt entschied sich, in Wien zu bleiben

Wenige Tage nach dem Rücktritt der kommunistischen Parteiführung Ende November besetzten daher einige der Dissidenten - darunter Chmel - die tschechoslowakische Botschaft in Wien und forderten Einreisegenehmigungen, erzählt der „Nachtasyl“-Wirt. „Nach ein paar Verhandlungen haben wir die Visa bekommen und sind in die Tschechoslowakei gereist,“ so Chmel.

„Dann war die Frage für mich: Zurück nach Tschechien ziehen oder in Österreich bleiben?“, sagt er. Er habe gute Angebote bekommen, in die Politik einzusteigen, aber das Lokal habe gerade zu laufen begonnen, und die Kinder seien hier zur Schule gegangen. Deshalb habe er sich dafür entschieden, in Wien zu bleiben. Bis heute bemüht sich Chmel, mit seinem Lokal eine Brücke zwischen Österreich und Tschechien zu schlagen, indem tschechische Musiker der Alternativszene in Wien auftreten können und dem mittlerweile mehrheitlich österreichischen Publikum nähergebracht werden.