Spitalsärzte weichen in Privatmedizin aus

Die neuen Ärzte-Dienstzeiten in Krankenhäusern haben Folgen. Der Patientenombudsmann der Wiener Ärztekammer registriert mehr Beschwerden über Wartezeiten und Kapazitätsprobleme. Ärzte weichen hingegen in die Privatmedizin aus.

Ombudsmann Franz Bittner ist seit Mitte 2013 Patientenombudsmann der Wiener Ärztekammer und war langjähriger Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK). Er hat in den vergangenen Wochen und Monaten neue Erfahrungen gemacht. „Ich bemerke bei den Beschwerden zunächst einen Zuwachs bezüglich der Wartezeiten. Das geht schon seit einiger Zeit.“ Die Beschwerden betreffen auch OP-Verschiebungen und Kapazitätsprobleme in Ambulanzen und Ordinationen.

Ärzte-Bedarf übersteigt Angebot

Ein Beispiel, so der Ombudsmann: Eine Patientin wollte sich für einen Ambulanz-Termin im Orthopädischen Spital Speising Wien anmelden. Die Antwort auf die Anfrage vom Oktober vergangenen Jahres war „November 2015“. „Die Patientin meinte, man hätte sich beim Schreiben in der Jahreszahl geirrt. Das war nicht der Fall.“

Im Rahmen der aktuellen österreichischen Gesundheitsreform sollen medizinische Leistungen am „Best Point of Service“ erbracht werden. Zusammen mit den auf 48 Stunden Wochenarbeitszeit reduzierten Dienstzeiten der Ärzte in den Krankenhäusern geht hier offenbar eine Schere zwischen Bedarf an fachärztlicher Betreuung in Ambulanzen und den Ressourcen auf.

Bittner über die Erfahrungen in Wien: „Speziell sieht man das in den Bereichen Neurologie, Nuklearmedizin, Orthopädie und bei bestimmten physikalischen Leistungen. Aber die Ambulanzen werden auch in anderen Bereichen reduziert. Das ist natürlich kostenwirksam.“

Lange Wartezeiten bei MR und CT

Spezialambulanzen werde man aber in der niedergelassenen Praxis nie ersetzen können. Der Patientenombudsmann der Wiener Ärztekammer: „Die jetzt angekündigten Primary Health Care-Zentren in Wien sind dafür gedacht, jene Patienten, die zuerst in eine Spitalsambulanz (zur Erstversorgung, Anm.) gehen, abzufangen und damit die Ambulanzen zu entlasten. Man muss dazu sagen: Viele von diesen Patienten haben keinen Vertrauensarzt.“

Ein weiterer in Wien spürbarer Effekt ist die Auslagerung von Untersuchungen für die bildgebende Diagnostik und anderer radiologischer Leistungen aus den Krankenhäusern. Bittner: „Da gibt es die österreichweite Deckelung der Honorare im CT und MRT-Bereich (Computer- und Magnetresonanztomografie) in der Radiologie.“

Die österreichischen Radiologen bekommen pro Jahr eine mit den Krankenkassen vereinbarte limitierte Gesamtsumme. Der Experte: „Das führt zu langen Wartezeiten. Und die Radiologen und Institute nehmen dann (wenn der Pool ausgeschöpft ist, Anm.) lieber die Privatpatienten.“ Wer sich’s leisten kann, dem ist eine schnelle MR- oder CT-Untersuchung schon ein paar hundert Euro „wert“.

Viele Ordnationen nehmen keine neuen Patienten

Bittner schätzt diese Entwicklung negativ ein: „Was mich wirklich stört als ehemaliger (WGKK-)Obmann ist, dass offenbar der ‚kassenfreie Raum‘ (Krankenversicherte zahlen trotz Versicherung für Leistungen, Anm.) mit stiller Zustimmung der Kassen weiter ausgedehnt wird.“ Wer sich’s leisten kann, zahlt.

Das zeigt sich beispielsweise, so der Gründer der Wiener Privatmedizin-Gesellschaft MediClass, Christoph Sauermann, bei seinem Service. Bei dem Unternehmen mit Sitz in Wien-Leopoldstadt handelt es sich laut eigenen Angaben um das größte Ärztezentrum Österreichs. Für eine bestimmte Jahresgebühr können Patienten dort rund 60 Fachärzte und Therapeuten zu Kassentarifen aufsuchen.

Der Manager: „Die Anfrage zu neuen Mitgliedschaften ist signifikant gestiegen. Wir bemerken das insbesondere seit Dezember vergangenen Jahres. Viele Facharztordinationen mit Krankenkassenverträgen nehmen keine neuen Patienten mehr. Da sind die Leute froh, wenn sie nicht drei Ordinationen anrufen müssen, um dann keinen Termin zu bekommen.“

Ambulanzen reduzieren Angebot

Laut dem Geschäftsmann, früher war er in der Pharmaindustrie in leitender Position (Wyeth) tätig, geht es aber auch um die Verfügbarkeit von schnellen und pünktlichen Terminen innerhalb eines guten Zeitrahmens. Wochen- bis monatelange Wartezeiten auf den Termin beim Facharzt wollten sich die Menschen nicht antun. Von den Spitalsambulanzen werde berichtet, dass diese auch in Wien ihren Umfang einschränken. „Da gibt es Ambulanzen, die nicht mehr vier, sondern nur noch zwei Tage in der Woche offen sind. Überlegt wird auch eine Wartenummernausgabe. Wer später kommt, kommt nicht mehr dran.“

Auch auf der Angebotsseite bei den Fachärzten, die bei MediClass als Selbstständige ohne Kassenvertrag zu rabattierten Honoraren, aber ohne Investitionsbedarf für eine eigene Ordination arbeiten wollen, sieht es ähnlich aus. Sauermann: „Das sind zumeist Oberärzte, also die Leistungsträger in den Wiener Spitälern. Die dürfen jetzt nur noch 48 Stunden pro Woche arbeiten. Damit haben sie mehr Zeit - und schauen sich nach einem Betätigungsfeld privat um.“

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