Flüchtlinge: Studentenzimmer als Unterkunft

Während die politische Asyldebatte oft festgefahren ist, werden immer mehr private Personen selbst aktiv: M. ist ein Flüchtling aus Pakistan und wohnt nun in einer WG mit zwei Studentinnen. „Flüchtlinge Willkommen“ bietet die Plattform dafür.

„Wir waren uns auf Anhieb sympathisch. Die Entscheidung ist sehr schnell gefallen. Wir haben eigentlich gleich nachdem wir M. (M. möchte anonym bleiben) kennen gelernt haben, zugesagt“, sagt Eva Linkeseder. Sie wohnt seit zweieinhalb Jahren mit ihrer Cousine Lisa Linkeseder in einer Wohngemeinschaft. Die beiden sind Studentinnen. Für die nächsten acht Monate haben die beiden nun einen neuen Mitbewohner.

„Beim Frühstück rennt der Schmäh“

M. lebt seit mittlerweile vier Jahren in Österreich. Richtig angekommen ist er jedoch noch nicht seit er aus Pakistan geflüchtet ist. Es hat viele Zwischenstationen für ihn gegeben. Er war in verschiedenen Aufnahmezentren in ganz Österreich untergebracht. Doch jetzt hat er ein neues Zuhause in der WG mit den zwei Cousinen gefunden.

Sharukh sucht Fotos aus, Blick von oben auf die Fotos in seinem Schoß

© Ida Kielmansegg

M. hat eine schwierige Zeit hinter sich

„Er hat viel durchgemacht. Wenn wir am Frühstückstisch sitzen, ist davon aber nicht viel zu merken. Da rennt der Schmäh die ganze Zeit“, erzählt die Oberösterreicherin Eva Linkeseder. Das gemeinsame Leben gleicht dem einer typischen WG: Es wird gemeinsam gekocht, es wird ausgerechnet, wer wie viel für Einkäufe bezahlen muss und es gibt einen Putzplan.

Seit knapp einem Monat wohnt M. nun bei den Studentinnen, die gerne reisen. Es war die erste Vermittlung, die via „Flüchtlinge Willkommen“ stattgefunden hat. Das Ziel des Projekts ist es, Flüchtlinge an Privatpersonen zu vermitteln. Als die Cousinen davon gehört haben, waren sie sofort begeistert. Da sie gerade auf der Suche nach einem Mitbewohner waren, beschlossen sie das freie Zimmer für etwas Sinnvolles zu nutzen.

Mehr Private wollen helfen

Während die öffentliche politische Debatte um die Unterbringung von Aslywerbern monatelang wenig Bewegung brachte, wollen Privatpersonen nicht länger zusehen und werden selbst aktiv. Zuletzt hatten die Landeshauptleute beschlossen, die Verfahren zu beschleunigen - mehr dazu in Treffen der Landeshauptleute zum Thema Asyl (noe.ORF.at; 25.2.2015).

Eva und Lisa Linkeseder machen bei Flüchtlinge Willkommen mit

ORF/Rieger

Eva und Lisa Linkeseder

„Flüchtlinge Willkommen“ steckt noch in den Kinderschuhen, greift diesen Willen aber auf: „Wir finden, dass geflüchtete Menschen nicht durch Massenunterkünfte ausgegrenzt werden sollten, sondern dass wir ihnen einen warmen Empfang bieten und den Anschluss hier erleichtern sollten“, sagt David Zistl. Er ist einer der vier Initiatoren des Projekts.

Finanzierung über Mikrospenden

Die Plattform funktioniert relativ einfach: Interessierte WGs melden sich auf der Internetseite an. Die einzige Voraussetzung ist, dass den Flüchtlingen ein eigener Raum zur Verfügung stehen muss. Zunächst wird dann die Frage der Finanzierung geklärt, da die meisten Flüchtlinge nicht selbst für die Miete aufkommen können. Meist erfolgen daher Mikrospenden. „Wir haben einfach auf sozialen Netzwerken gepostet, ob jemand spenden will. Innerhalb von zwei Wochen hatten wir die gesamte Miete für M. für die gesamte Zeit“, sagt Eva Linkeseder.

„Wenn das Finanzielle erledigt ist, kontaktieren wir NGOs und versuchen den passenden Mitbewohner zu finden“, fährt Zistl fort. „Zur Besichtigung kommt ein Sozialarbeiter mit. Das gibt den Flüchtlingen mehr Sicherheit und hilft über eventuelle Sprachbarrieren hinweg.“ Viele Flüchtlinge sprechen aber ohnehin schon gut Deutsch. M. zum Beispiel besucht jede Woche zweimal einen Sprachkurs.

Team Flüchtlinge Willkommen

© Alexander Gotter

Das Team von „Flüchtlinge Willkommen“

Depressionen gehören zum Alltag

Es kann jedoch nicht jeder Flüchtling vermittelt werden. „Viele leiden unter Traumata. Sie brauchen angemessene Betreuung. Eine Vermittlung wäre für keine Seite positiv. Es gab schon einen Fall, den wir leider ablehnen mussten. Wir arbeiten deswegen auch mit Sozialarbeitern zusammen, um die Situation richtig einschätzen zu können“, meint Zistl. Auch M. leidet unter Depressionen. Doch: „Wenn wir zusammen sind, blüht er richtig auf und vergisst alles. Nur wenn er alleine ist, fängt er an, intensiv nachzudenken“, sagt Eva Linkeseder.

Das Projekt startete vor rund zwei Monaten in Wien. Bisher haben sich rund 50 WGs angemeldet. Die Idee für das Projekt stammt ursprünglich aus Deutschland. Seit es nach Wien geholt wurde, gab es drei Vermittlungen. „Mittlerweile sind wir im ganzen Land aktiv“, sagt Zistl.

Angst vor einer Abschiebung

Das Projekt ist eng mit der Bildungsinitiative Österreich vernetzt. Der Plan für die Zukunft ist, auch eine Rechtsberatung in das Angebot einzubinden. Zistl: „Das wäre sinnvoll, weil die Flüchtlinge unter starkem psychischem Druck stehen. Das Asylverfahren ist entscheidend für den Aufenthalt.“ Auch M. hat Angst vor einer Abschiebung. Länger als acht Monate kann er aber ohnehin nicht bleiben. Zumindest nicht in der WG, denn dann kommt der eigentliche Mitbewohner wieder von seinem Auslandssemester zurück.

Link: