Tracey Emin interpretiert Egon Schiele neu

„Ich will Schieles Werk aus Österreich rausholen“, sagt Tracey Emin. Die britische Künstlerin widmet sich bei ihrer Ausstellung im Leopold Museum dem „nationalen Heiligtum“ Egon Schiele. Emin rechnet mit Kritik, „aber das ist es wert“.

Das Leopold Museum präsentiert mit „Tracey Emin / Egon Schiele“ erstmals eine umfassende Ausstellung mit mehr als 80 Werken der britischen Künstlerin Tracey Emin in Wien. Emin, die als eine der Leitfiguren der „Young British Artists“ und „Enfant terrible“ der zeitgenössischen Kunst gilt, lässt sich auf einen künstlerischen Dialog ein, indem sie in die Ausstellung neben eigenen Arbeiten auch persönlich ausgewählte Zeichnungen von Egon Schiele einbindet.

„Frauenarbeit“ und Provokation

Emins Arbeiten erzählen von unerfüllter Liebe, Leid, Sehnsucht und Begehren. Die Schau im Leopold Museum gibt Einblick in die unterschiedlichen, von Emin verwendeten Techniken und Materialien. Zu sehen sind Acrylgemälde, Gouachen und Videos, aber auch Installationen aus Neonröhren, Holz und Metall und textilen Materialien bis hin zu Fotografien und Bronzeskulpturen.

Ausstellungshinweis

„Tracey Emin / Egon Schiele“ - Where I Want to Go, von 24. April bis 14. September 2015 im Leopold Museum, Museumsplatz 1, 1070 Wien.

In ihrem Werk, das von Tragik, aber auch von Humor geprägt ist, enthüllt Emin ihre eigenen Hoffnungen, Erniedrigungen, Fehlschläge und Erfolge. Provokation und Sexualität tauchen in Emins Werk immer wieder auf, dieses ist in der Tradition des feministischen Diskurses verankert. Durch die radikale Zweckentfremdung konventioneller Handarbeitstechniken – typischerweise als „Frauenarbeit“ angesehen – spiegelt Emins Kunst die feministische Doktrin des „Persönlichen als Politischen“ wider.

Über David Bowie zu Egon Schiele

Eigentlich war es für Emin nur ein Arbeitstitel: „Where I Want to Go“ („Wo ich hinwill“). „Ich habe eine Liste gemacht, was ich alles noch vorhabe. Eine Ausstellung gemeinsam mit Edvard Munch, Louise Bourgeois oder eben Egon Schiele.“ Dann gab es auch noch einen Text, in dem Schiele diese Worte verwendete. Da schloss sich der Kreis. Aus dem Arbeitstitel wurde der Untertitel jener Schau, mit der sich das Leopold Museum nun zeitgenössischen Künstlern öffnet.

Veranstaltungshinweis

Am Samstag, 25. April, diskutiert Tracey Emin um 15.00 Uhr mit Diethard Leopold im Leopold Museum.

Dabei war Egon Schiele der 51-jährigen Künstlerin, die als eine der „Young British Artists“ Mitte der 1990er Jahre Berühmtheit erlangte, lange Zeit gar kein Begriff. Ausgerechnet Plattencover von David Bowie haben sie dann auf die Spur des österreichischen Künstlers gebracht. „Mir gefielen die Cover von ‚Heroes‘ und ‚Lodger‘“, erzählt die Künstlerin. Ein Freund habe ihr dann gesagt, dass Bowie dabei auf Egon Schiele Bezug nimmt. „Was ist Egon Schiele?“, habe sie gefragt. Der nächste Weg führte sie in eine Buchhandlung, wo sie einen Bildband mit Schieles Arbeiten entdeckte.

„Ich wurde nicht mit Kunst erzogen. Ich bin an der Küste aufgewachsen, ohne Galerien, es gab nur eine Buchhandlung. Mein Heimatort besteht aus Natur, er ist kein Ort für Kunst“, beschreibt Emin das Städtchen Margate, in dem sie aufwuchs.

Toter Künstler als „nationales Heiligtum“

Wie es zu dieser Ausstellung kam? Erst bei einem Kuraufenthalt in Maria Wörth habe sie eine Galeristin kennengelernt, die sie in weiterer Folge mit dem Leopold Museum zusammenbrachte. Nach Besuchen Diethard Leopolds in ihrem Londoner Studio sei sie dann erstmals nach Wien gekommen.

Hinter der Schau, die in mehr als zweijähriger Vorbereitungszeit entstand, obwohl Emin dafür kein Werk extra geschaffen hat, stecken zwei Ideen: „Erstens habe ich bemerkt, dass es viele tote Künstler gibt, die in ihrem Land und dem Nationalismus gefangen sind. Und zweitens wird Schiele immer in derselben Art präsentiert: Zehn Arbeiten hängen dicht nebeneinander. Ich wollte seinen Arbeiten, von denen ich die Zeichnungen viel lieber mag als die Gemälde, Raum zum Atmen geben“, so Emin.

Tracey Emin

APA / Roland Schlager

Tracey Emin

„Und ich wollte Schieles Werk aus Österreich, aus Wien rausholen. Und die einzige Möglichkeit, das zu machen, ist, selbst hier herzukommen. In London würde diese Schau nicht funktionieren. Es ergibt genau hier Sinn: wo ihn alle kennen, wo ihn jeder mag, wo er ein nationales Heiligtum ist. Denen sage ich jetzt: Ihr habt diesen großen Künstler, und der muss sein Zuhause nun verlassen.“

Bereits im Voraus rechnete Emin mit Kritik für ihre Herangehensweise, „aber das ist es wert“. Auch das internationale Publikum werde Schieles Werk „ganz neu sehen“. Sie selbst sei ein „Synonym für die 90er, obwohl das nur zehn Jahre meiner Karriere waren“. Mit der Schiele-Ausstellung will sie „die Wahrnehmung über seine Arbeit und meine Arbeit durchrütteln“. Nachsatz: „Es ist wirklich interessant, mit jemandem zu arbeiten, der tot ist.“

Emins Körper als Spiegel für die Welt

Auch wenn Emin vor allem für ihre Installationen wie „My Bed“, das erst kürzlich für fast drei Millionen Euro den Besitzer wechselte und nun wieder in der Londoner Tate Gallery ausgestellt ist, bekannt ist, habe es nur eine kurze Zeit Anfang der 90er Jahre gegeben, in denen sie nicht gezeichnet und gemalt hat. „Ich habe es nur nicht ausgestellt“, so Emin. In den Gouachen, Zeichnungen und Bronzen, die sie in Wien zeigt, steht nun der Körper - meist ihr eigener - im Zentrum. Dennoch: „Es geht nicht um den Körper, sondern um das Selbst.“ Sie verwende sich selbst als „Spiegel für die Welt“.

Dass sie Angebote ablehnt, für andere namhafte Künstler Porträt zu sitzen, ist für Emin selbstverständlich: „Ich gehöre nur mir selbst.“ Und Schieles Models? „Schiele hatte Sex mit seinen Modellen, die haben für ihn das alles empfunden.“ In ihren Arbeiten sei es anders: „Ich male keine Frauen, mit denen ich Sex habe. Ich nutze mich selbst.“ Dennoch sei für sie deutlich, dass Schiele bei seinen Selbstporträts anders gearbeitete habe, als wenn er andere in seinem Umfeld zeichnete. Seine Selbstporträts kämen vielmehr einer Selbstanalyse gleich: „Er hat sich selbst gemalt, um sich zu erkunden.“

Von der wilden Tracey Emin, die betrunken in Talkshows auftritt, ist wenig geblieben. „Die Leute missverstehen mich nicht mehr in letzter Zeit“, freut sie sich. Das zeige, dass nicht nur sie, sondern auch das Publikum sich weiterentwickelt habe. „Wenn die Leute 1995 stecken geblieben sind, ist das ihr Problem. Ich bin es nicht.“

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