Flüchtlingskrise ohne Menschen im Kunst Haus

Eine andere Sicht auf das Thema Flucht hat die deutsche Künstlerin Eva Leitolf. Das Kunst Haus Wien zeigt die Schau „Postcards from Europe 10/15“. Zu sehen sind Orte der Migration, der Ausgrenzung, der Fremdenfeindlichkeit.

Leitolf dokumentiert seit 2006 in Bild und Text Orte, an denen sich das Thema Migration in konkreten Konflikten auf individueller Ebene manifestiert. Ihre Serie „Postcards from Europe“ ist als offenes Archiv angelegt, das nicht nur zahllose Fälle von Gewalt aufzeigt, sondern die Fotografie auch ins Zentrum eines Diskurses über die mediale Konstruktion von Gesellschaft stellt.

Der große Unterschied zu den Fotos, die derzeit in allen Zeitungen zu sehen sind, zeigt sich schon auf den ersten Blick: „Zwar bildet die Künstlerin fotografisch jene Orte ab, an denen sich Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit und Gewalttaten ereignet haben, doch zeigen Eva Leitolfs Fotografien diese Orte menschenleer und teilweise sogar frei von jeglicher Zivilisation“, hieß es in der Ankündigung zur Ausstellung.

Eva Leitolf, PfE0085-AT-131008, Bahnhof, Traiskirchen, Österreich 2008 / Railway Station, Traiskirchen, Austria 2008.

Eva Leitolf/Bildrecht, 2015, Courtesy Kehrer Galerie | Berlin, all rights reserved.

Bahnhof von Traiskirchen

„Ereignislose“ Fotografie mit Texten

Ihre Arbeit führt Leitolf freilich nicht nur nach Traiskirchen. Sie hat auch an den Grenzen der Europäischen Union fotografiert, in Spanien und Marokko, Süditalien, Ungarn, in den Hafenstädten Dover und Calais sowie in Deutschland. Leitolfs „ereignislose“ Fotografie begleitet je Bild ein nüchterner Text, der den konkreten Tatbestand schildert. Erst im Zuge des Lesens wird deutlich, weshalb der fotografierte Ort überhaupt bildwürdig wurde.

Eva Leitolfs künstlerisches Verfahren unterwandert damit das seit den Anfängen der Fotografie bekannte Beharren auf die weltumspannende Allgemeinverständlichkeit des Mediums – ohne jegliche Vorbildung. In Frage gestellt sind damit die dem Medium zugeschriebene Objektivität sowie der Glaube daran, die Fotografie gebe auch sicher Informationen wieder, die kein weiteres Wissen über ihren Entstehungszusammenhang benötigt.

Ausstellungsansicht "Eva Leitolf / Postcards from Europe 10/15 "

© KUNST HAUS WIEN 2015 Foto: Aslan Kudrnofsky

Ausstellungsansicht Eva Leitolf

Keine Parteinahme, kein Entsetzen

Leitolfs Fotografien erhalten ihre Bedeutung gerade dadurch, dass sie sich einer einfachen Moral, Parteinahme und Verwertung entziehen. Die begleitenden Texte zu den Fotografien sind Ergebnisse von Leitolfs Recherchen, wobei die Künstlerin auf unterschiedlichste Quellen zugreift: dem Studium von Nachrichten und Polizeiakten, ihren Gesprächen mit Migranten und Migrantinnen, Opfern, Vertretern von Hilfsorganisationen und Ansässigen vor Ort.

Veranstaltungshinweis:

Eva Leitolf „Postcards from Europe 10/15"
22. Oktober bis 31. Jänner 2016, Kunst Haus Wien

Die im Stil sachlich knapper Schilderung formulierten Textprotokolle bedienen, gleich den Fotografien, ebenso wenig den Affekt des Entsetzens angesichts unwürdiger und asozialer Verhältnisse oder unmenschlicher Ereignisse im Kontext von Krieg, Flucht und Asyl. Sie beschreiben vielmehr Verhalten, Strukturen und Verfahren als Ursache und Bedingung des konkreten Konflikts.

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