Der selbstdiagnostizierende Patient

Patienten diagnostizieren sich vor dem Arztbesuch oft selbst im Internet und suchen vorab Behandlungsmöglichkeiten. Danach schreiben sie eine Webrezension und bewerten den Arzt. Ärzte sehen diese Onlinemöglichkeiten zwiegespalten.

Der Begriff „Kopfschmerzen“ liefert bei Google 7,8 Millionen Treffer. Schnell wird klar, dass Kopfschmerzen Symptome für die verschiedensten Krankheiten sein können. Der Patient könnte einen Hirntumor, eine HIV-Infektion oder ein Trauma am Kopf haben. Die Bandbreite ist groß, die Krankheiten sind schlimm. Meistens gibt es aber eine ganz andere Erklärung für die Schmerzen oder Symptome. Viele Patienten informieren sich trotzdem im Internet vorab.

Blonde Frau legt den Kopf auf einen Laptop

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Viele Menschen informieren sich monatlich bei Netdoktor.at

„Das kommt gar nicht gut an bei mir, wenn ein Patient schon mit einer eigenen Diagnose daherkommt. Natürlich kann er sich vorher erkundigen und Symptome im Internet eingeben. Aber ohne medizinisches Wissen kommt man mit den vorgeschlagenen Ergebnissen schnell durcheinander“, sagt Atousa Mastan, Allgemeinmedizinerin mit Ordination in der Donaustadt. Auch Erik Randall Huber, Urologe mit Sitz in der Brigittenau, sagt dass eine Internetrecherche nicht 14 Jahre Studium und Facharztausbildung ersetzen kann, wie in seinem Fall.

„Patienten nehmen Diagnose besser auf“

„Es gibt leider viele Patienten, die auf dem, was sie gelesen haben, beharren. Manchmal bestehen sie auch auf eine bestimmte Behandlung, die sie im Internet gefunden haben. Das geht aber nicht, dass man dem Arzt vorschreibt, was man haben möchte. Ich lasse immer gerne mit mir reden, aber der Arzt sollte schlussendlich immer entscheiden, was das Beste für den Patienten ist“, so Mastan. „Jeder Mensch ist unterschiedlich und braucht daher auch verschiedene Behandlungen, da gibt es kein Patentrezept, das man einfach so im Internet findet“, sagt auch Huber.

Dennoch: Die Sicht darauf ist zwiegespalten, denn Huber erachtet zum Beispiel vorinformierte Patienten, die die Informationen richtig einordnen können, als Erleichterung. Vor allem wenn lebensverändernde Diagnosen wie Krebs gestellt werden, reagieren Patienten besser, die sich vorab informiert haben und wissen, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt. Es kommt also darauf an, wie der Patient die abrufbaren Informationen weiterverwertet.

Internet ermögliche mündigere Patienten

Netdoktor.at, eines der größten Gesundheitsportale in Österreich, verfügt laut Eigenangabe über mehr als 3.700 medizinische Begriffe und damit mehr als Wikipedia. Auch bei „Kopfschmerzen“ - um beim eingehenden Beispiel zu bleiben - ist es der Toptreffer. „Wichtig ist, dass wir in verständlicher Sprache schreiben. Es schreiben sowohl Ärzte als auch Redakteure, wobei immer Experten die Artikel überprüfen. Es ist uns wichtig, dass es nicht in wissenschaftlicher Sprache geschrieben ist, sondern für Laien verständlich“, so Ludwig Kaspar, Chefredakteur von Netdoktor.at.

Selbst Kaspar nennt sowohl Vor- als auch Nachteile: „Klar, ein Hypochonder wird gleich denken, dass er todkrank ist. Aber prinzipiell bin ich für mündige Patienten - auch wenn sie deswegen lästiger für die Ärzte werden, weil sie sich nicht so schnell abwimmeln lassen.“ Huber sagt jedoch, dass das Vertrauen der Patienten zum Arzt darunter leidet, wenn primär Internetquellen geglaubt wird.

DocFinder.at sei kein repräsentativer Querschnitt

Auch der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) sagt, dass „allgemeine Darstellungen häufig zu Missverständnissen führen, deswegen ist das Patientengespräch mit dem Arzt unerlässlich“. Auch Onlinerezensionen bilden nicht die ganze Wahrheit ab. Huber plädiert zum Beispiel für eine objektivere Art der Bewertung, als sie bei DocFinder.at stattfindet. DocFinder.at ist wiederum eines der größten Portale, um Ärzte zu suchen. Nach dem Arztbesuch können Bewertungen abgegeben werden.

Arzt behandelt junge Frau mit Rückenschmerzen

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Das Gespräch mit dem Arzt ist nicht durch Internetrecherchen ersetzbar

„Ich glaube, hier hat man es nicht unbedingt mit einem repräsentativen Querschnitt zu tun, sondern es wird die subjektive Wahrnehmung vermittelt. Es ist fraglich, ob nicht häufig eine Neigung zur negativen Auswahl besteht. Also: Wenn ich mit etwas unzufrieden bin, dann schreibe ich etwas, und wenn ich zufrieden bin, schreibe ich nichts. Ich glaube nicht, dass man ein tatsächliches Qualitätsmerkmal für ärztliche Leistung findet“, so Karl Forstner von der Ärztekammer.

„Auf DocFinder.at wurden bis dato mehr als 200.000 Patientenbewertungen zu rund 20.000 niedergelassenen Medizinern österreichweit abgegeben. Die Mehrheit sind positive Empfehlungen. In unseren Augen bieten wir damit eine repräsentative Anzahl an Bewertungen“, sagt Gerald Timmel, der Geschäftsführer von DocFinder.at.

Soziale Netzwerke verstärken Kommunikation

Huber und Mastan sehen die Bewertungen als Ansporn: Positive werden den Mitarbeitern gezeigt, und bei negativen wird versucht, Gegenmaßnahmen zu finden. „Nur bitte zu berücksichtigen, wenn mal lange Wartezeiten wegen Notfällen zustande kommen, ist es schwer, das als Kassenarzt zu ändern. Wenn andererseits der Tonfall beim Empfang nicht stimmt, werden Schulungen eingeleitet“, so Huber.

Was auch immer häufiger wird, ist die Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten über Soziale Netzwerke. Mastan betreibt etwa eine Facebook-Seite, wo sie auch in regelmäßigem Kontakt mit ihren Patienten steht, die ihr so auch Befunde etc. zukommen lassen. Huber erhält auch öfter intime Fotos per E-Mail (er ist Urologe): „Dateianhänge dürfen aufgrund der IT-Sicherheit in unserer Ordination nicht geöffnet werden, aber beim Arzt-Patienten-Gespräch können Fotos am Smartphone manchmal hilfreich sein, etwa wenn es um Penisverkrümmungen geht.“

Lisa Rieger, wien.ORF.at

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