Autor Glavinic warnt vor gespaltener Gesellschaft

Thomas Glavinic macht sich um das gesellschaftliche Gleichgewicht Sorgen. Lasse man Menschen mit ihren Ängsten allein, „treibt man sie in die Arme von Extremen“, sagte der Wiener Schriftsteller gegenüber dem „Kurier“.

Das gesellschaftliche Gleichgewicht sei in Gefahr, „wenn sich an einer politischen Herausforderung extreme Konflikte entzünden und verschiedene Weltanschauungen plötzlich mit religiösem Fanatismus vertreten werden“, sagte Glavinic. Auf Facebook war der Autor kürzlich gegen die Abqualifizierung der Wähler Norbert Hofers aufgetreten ist.

„Menschen mit Ängsten nicht alleine lassen“

In einem Interview in der Sonntag-Ausgabe der Tageszeitung erklärt Glavinic seine Position: „Gerade von aufgeklärten Zeitgenossen erwarte ich, dass sie die Gefahren einer gespaltenen Gesellschaft ernst nehmen.“ - „Dass Massenzuwanderung aus Ländern, über die wir wenig wissen, bei manchen Menschen Ängste auslöst, ist ja nicht unverständlich“, meint er. „Mit diesen Menschen muss man reden. Wenn man sie alleinlässt, treibt man sie tatsächlich in die Arme von Extremen, denn die hören ihnen zu - oder tun zumindest so.“

Thomas Glavinic

ORF/ Florian Kobler

„Nicht jeder, der sich unbehaglich fühlt angesichts einer möglichen oder tatsächlichen Massenzuwanderung von Menschen aus einem Kulturkreis, in dem ein patriarchalisches, nicht besonders frauenfreundliches, dezidiert homosexuellenfeindliches Gesellschaftsbild vorherrscht und von denen man nicht weiß, wie ein Zusammenleben mit ihnen funktionieren wird, hat kein Mitgefühl mit Flüchtlingen“, erklärt der 44-Jährige.

„Moralische Geiselhaft“

"Es gibt zahllose Menschen, die sich aufrichtig gegen Intoleranz und Rassismus und für Humanismus und Solidarität mit Schwächeren einsetzen, und zwar sehr tatkräftig. Die muss man unterscheiden von jenen, die nur eine Haltung des Guten, des Richtigen vor sich hertragen und Moralnoten verteilen. Letzteres empfinde ich als jene Selbstgefälligkeit, die ich in meinem Posting angesprochen habe.

Diese Leute gehören zu jenem Teil unserer Gesellschaft, der die anderen in eine Art moralische Geiselhaft genommen hat und streng darüber wacht, was gesagt und was besprochen wird, wie und von wem."

Alle Menschen hätten Sorgen und Ängste, meint Glavinic im „Kurier“. „Und wir alle haben nur die allergeringste Ahnung, wie die von Menschen aussehen, mit denen wir selten oder nie in Berührung kommen. Das heißt nicht, dass die einen oder die anderen Ängste größere Berechtigung haben. Deswegen sollten wir uns ja anhören, was die, mit denen wir zusammenleben, an Bedenken mit sich herumtragen. Ob Ängste berechtigt oder unberechtigt sind, spielt ja keine Rolle, sie verschwinden nicht, nur weil ein anderer sie nicht als solche ansieht. Manchen hilft es ja schon, wenn man ihnen einfach mal zuhört.“

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