Urteil: Häftling darf Frau werden

Ein männlicher Häftling möchte in Wien einen Geschlechtswechsel vollziehen. Ende April wurde nun ein Urteil getroffen: Die Behandlung darf durchgeführt werden. Es ist das erste Urteil in Österreich und damit richtungsweisend.

Der rechtlich noch männliche, 22-jährige Häftling lebt seit vielen Jahren mit der Vorstellung, dem weiblichen Geschlecht zugehörig zu sein. Er fühlt sich im falschen Körper geboren und sehnt sich danach, als Angehöriger des anderen Geschlechts zu leben. Der Häftling hatte bei der Leitung der Anstalt Mittersteig ein Ansuchen auf Einleitung der Behandlung gestellt. Dieses wurde jedoch ignoriert, so das Rechtskomitee LAMBDA, Österreichs Bürgerrechtsorganisation für homo- und bisexuelle sowie transidente und intersexuelle Menschen.

„Erste diesbezügliche gerichtliche Entscheidung“

„Die Anstaltsleitung hat sechs Monate Zeit für eine Entscheidung, dann kann man sich an das Gericht wenden. Das haben wir Ende Juni vergangenes Jahr gemacht“, sagt Helmut Graupner, Rechtsanwalt des Beschwerdeführers und Präsident von LAMBDA.

Person in Haft

APA/HELMUT FOHRINGER

Der Häftling in Wien darf eine Geschlechtsanpassung durchführen

„Es ist das erste Mal, dass so eine Entscheidung in Österreich getroffen wurde. Es ist somit schwarz auf weiß festgehalten. Vorher waren diese Entscheidungen vom Good Will der einzelnen Justizanstalten abhängig. Die Entscheidung ist somit bahnbrechend“, so Graupner.

Langwieriger Ablauf bis zur Operation

„Mein Mandat befindet sich wegen körperlicher Verletzung in Haft und wurde in den Maßnahmenvollzug für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Das kriegt man in Österreich leicht und bedeutet eine potentielle lebenslange Anhaltung. Jemand der als Jugendlicher inhaftiert wird und nicht absehen kann, wann er entlassen wird, kann nicht warten. Er weiß nicht, wann er hinauskommt und damit die Möglichkeit der Geschlechstanpassung hat“, sagt Graupner.

Österreich befindet sich laut LAMBDA international unter den führenden Staaten bei der Verwirklichung der Rechte transidenter Menschen

Bis zur geschlechtsangleichenden Operation ist es dennoch ein langer Weg. „Wenn jemand eine Operation machen möchte, gibt es einen bestimmten Ablauf bis dahin. Psychotherapien, Hormonbehandlungen, psychiatrische Gutachten etc. kommen vor der Operation. Man möchte nicht, dass sich Menschen vorschnell operieren lassen“, so Graupner.

Arbeitsgruppe diskutiert Umgang

Letztes Jahr wurde vom Justizministerium eine Arbeitsgruppe zum Thema Geschlechtsanpassung in der Haftanstalt eingerichtet. „Die Vollzugsverwaltung war der Meinung, dass man sich mit der Thematik befassen muss, weil sie immer mehr mit der Frage konfrontiert ist, wie man mit Menschen umgeht, die sich umwandeln wollen - ob sie mitten in einer Umwandlung sind, wenn sie in Haft kommen, oder erst dann den Wunsch äußern“, sagt Andrea Moser-Riebniger, die Leiterin der Arbeitsgruppe.

Es stellen sich laut Moser-Riebniger Fragen wie: Was brauchen die Betroffenen, um im Vollzug gut untergebracht zu sein? In welcher Phase sind die Menschen welcher Unterbringung zuzuordnen? Braucht es eigene Abteilungen etc. „Es ist ein laufender Prozess, der im Endeffekt nicht abgeschlossen werden kann, weil sich immer wieder neue Fragestellungen ergeben. Aber wir bemühen uns immer, am Laufenden zu sein.“

Etwa zehn transidente Personen in Haft

Gemeinsam mit verschiedenen Vereinen prüft die Arbeitsgruppe zum Beispiel, ob eigene Abteilungen, wie es in Italien etwa der Fall ist, auch in Österreich Sinn machen, so Moser-Riebniger. Wie viele Menschen in Wien bzw. Österreich betroffen sind, ist nicht ganz klar. Eva Fels vom Verein TransX sagt, dass es laut einer Diplomarbeit, die noch nicht abgeschlossen ist, etwa zehn transidente Personen in Haft gibt.

„Vier davon befinden sich im Maßnahmenvollzug, was bedeutet, dass ein Richter mit Psychiatern zum Schluss gekommen ist, dass diese Personen eine Gefahr für die Außenwelt darstellen“, so Fels. Auch Fels ist der Meinung, dass der Gerichtsbeschluss die Voraussetzungen für eine Geschlechtsanpassung in Haft in Österreich positiv ändern wird. Die Arbeitsgruppe werde trotzdem nicht schneller arbeiten und nicht vor 2017 zu einer Richtlinie kommen.

Stacheldrahtzaun Haft

APA/HELMUT FOHRINGER

Etwa zehn transidente Personen leben in Österreich hinter Gittern

Als einen der wesentlichsten Punkte nennt Fels den Namen: „Gerade wenn jemand beginnt, ins andere Geschlecht zu gehen, ist der Name besonders wichtig. Das Problem ist, dass Gefängniswärter angehalten werden, den alten Namen zu nennen. In Österreich darf der Name erst nach der Geschlechtsänderung gewechselt werden.“

Urteil Ende Juni rechtskräftig

Der Beschwerdeführer, dem nun Recht gegeben wurde, war zuvor in einer Haftanstalt in Niederösterreich untergebracht, wo er mit der Behandlung beginnen durfte. In Wien reagierte dann, wie oben erwähnt, die Anstaltsleitung nicht auf das Ansuchen.

„Es ist nicht vom Bundesland abhängig. Es ist eine Bundesgesetzgebung. Vorgesehen ist eine individuelle Entscheidung, weil es immer eine individuelle Geschichte ist“, sagt Moser-Riebniger. Im Fall des Beschwerdeführers wird die Entscheidung Anfang Juni rechtskräftig sein, so Christina Salzborn, Richterin des Landesgerichts Wien.

Lisa Rieger, wien.ORF.at

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