Forscher: Medien könnten Amokläufe verhindern

Eine zurückhaltende Berichterstattung über Amokläufe könnte möglicherweise künftige Taten verhindern - das zeigen Untersuchungen von Sozialmedizinern der MedUni Wien. Auch Berichte über verhinderte Taten könnten helfen.

Medienberichte über verhinderte Amokläufe könnten möglicherweise helfen, weiteren Amokläufen vorzubeugen. Dies legten Forschungsergebnisse des Wiener Sozialmediziners Thomas Niederkrotenthaler, hieß es am Mittwoch in einer Vorabmeldung der Wochenzeitschrift „Die Zeit“. „Wir erarbeiten derzeit Medienempfehlungen zur Berichterstattung über Amoktaten“, wurde Niederkrotenthaler zitiert, der an der MedUni Wien forscht.

„Werther-Effekt“ versus „Papageno-Effekt“

Der Hintergrund ist schon einige Jahre alt. Niederkrotenthaler und seine Co-Autoren hatten im Jahr 2010 eine Studie zur Auswirkung von 500 Berichten über Suizide in österreichischen Zeitungen innerhalb von sechs Monaten aus dem Jahr 2005 untersucht. Demnach führten weniger zurückhaltende Berichte („Suizid-Welle“, „Suizid-Epidemie“, epidemiologische Daten) eher zu Imitationssuiziden.

Das wird seit vielen Jahren als „Werther-Effekt“ bezeichnet, der offenbar kleines bis mittleres Ausmaß haben kann. Der Name folgt dem Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ von Johann Wolfgang von Goethe. Als das Werk 1774 erschien, kam es zu einer Reihe von Imitationssuiziden.

In etwa jener Stärke - aber im positiven Sinn - zeige sich nach Artikeln, welche eine positive Bewältigung suizidaler Krisen darstellten, auch ein schützender Effekt, postulierten Niederkrotenthaler in ihrer Studie. Die Suizidrate könne durch zurückhaltende positiv ausgerichtete Berichterstattung etwas sinken. Das nannten die Autoren „Papageno-Effekt“. Und was für Suizide gilt, könnte nun auch auf Amokläufe zutreffen.

Appell nach vermehrten U-Bahn-Suiziden

Wie auch immer die Benennung solcher möglicher Auswirkungen der Medienberichterstattung über Gewalttaten erfolgt, die Sache erinnert an einen Alarm, den im März 1987 der damalige Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien (PSD), Stephan Rudas nach vermehrten Suiziden in der Wiener U-Bahn schlug. Seine damalige Bitte an die Journalisten: „Schreibt nicht von Selbstmorden, ohne auf die bestehenden Hilfsangebote für Lebensmüde hinzuweisen.“

Rudas hatte damals - wie er zugab - schlicht und einfach Angst: „Noch ist es zu keiner Häufung von Selbstmorden in Wien gekommen. Doch es besteht die Gefahr, dass das Springen vor die U-Bahn zu einer ‚Mode‘ wird. Etwas ähnliches hatten wir vor rund 15 Jahren mit Selbstverbrennungen und vorher damit, dass sich die Leute in die Luft sprengten. So eine ‚Mode‘ darf nicht noch einmal entstehen.“

Der Appell wirkte, wie man später in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ nachlesen konnte. Die Zahl der Suizide in der Wiener U-Bahn ging durch die damals zum größten Teil überhaupt unterbleibende Berichterstattung in den österreichischen Medien über solche Vorfälle deutlich zurück.

Journalismus als unfreiwilliger Komplize

Ob Amok oder Terror, immer stecke dahinter auch eine mediale (Selbst-)Inszenierung, erklärten erst vor kurzem deutsche Experten in dem Buch „Die mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus“, herausgegeben von Frank J. Robertz und Robert Kahr. Journalismus könne daher unfreiwillig zum Komplizen werden. „Dieses Kalkül der Täter geht insbesondere dann auf, wenn Medien destruktive Botschaften der Täter ungefiltert weitertragen. Auf diese Weise verbreiten sie Angst in der Gesellschaft, belasten die Opfer und liefern im schlimmsten Fall eine Inspiration für Nachahmer“, heißt es in dem Buch.