Deradikalisierung: Einzelhaft problematisch

Wie kann man verhindern, dass sich Häftlinge im Gefängnis weiter radikalisieren? Das hat das Wiener Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) untersucht. In Frage gestellt wurde dabei etwa der Sinn von Einzelhaft.

Einzelhaft soll die Radikalisierung von Mithäftlingen verhindern, kann nach Überzeugung der Studienautoren aber eine weitere Radikalisierung bewirken. Dann nämlich, wenn ein Insasse die U-Haft-Zeit in der Zelle allein damit verbringt, den Koran zu lesen. Thomas Schmidinger vom IRKS warnte auch vor einem weiteren potenziellen Problem: Ein prominenter Prediger, der jahrelang in einer Einzelzelle lebt, könnte bei seinen Anhängern „durchaus in eine Art Märtyrerstatus hineinfallen“.

„‚Den‘ Dschihadisten gibt es nicht“

Schmidinger und Veronika Hofinger, ebenfalls vom IRKS, führten die Studie im Auftrag des Justizministeriums durch. Sie befragten mehr als 100 Personen - neben Mitarbeitern der Justizanstalten auch 39 (mutmaßliche) Dschihadisten, unter ihnen vier Frauen. Das Spektrum der Inhaftierten ist breit. „‚Den‘ Dschihadisten gibt es nicht“, sagte Hofinger. Unter den Befragten befand sich etwa eine schwangere Frau, die auf ein besseres Leben unter der Scharia in ihrem „Sehnsuchtsland“ Syrien hoffte, Jugendliche, die ihre Sympathie für den IS auf Facebook kundtaten, und salafistische Prediger.

Mangel an Seelsorge beklagt

Maßnahmen zur Deradikalisierung sollten nach Ansicht der Experten am besten mit Antritt der U-Haft beginnen - was aber wegen unterschiedlicher Interessen von Staatsanwaltschaften und/oder Verfassungsschutz fallweise verhindert wird. „Da gibt es keine einfachen Lösungen“, sagte Hofinger.

Sowohl Insassen als auch Leitungen der Justizanstalten beklagten ein mangelndes Angebot an Seelsorge. Diesbezüglich sei man permanent im Gespräch mit Vertretern der Religionsgemeinschaften, speziell mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft, sagte Jusitzminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) bei der Präsentation der Studie am Dienstag. In deren Hand liege es, für ausreichend Kapazitäten zu sorgen. „Wir können leider keine Planstellen zur Verfügung stellen“, sagte der Justizminister unter Verweis auf die Zuständigkeit des Bundeskanzleramts.

Marginalisierte Jugendliche gut erreichbar

In Österreich sind derzeit laut Generaldirektion für den Strafvollzug 68 Menschen wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in Haft. 21 von ihnen verbüßen Haftstrafen, 47 befinden sich in U-Haft. „Die meisten haben sich nicht im Gefängnis radikalisiert“, stellte die Hofinger klar. Und im Unterschied zu Frankreich, wo mehrheitlich Kleinkriminelle von Dschihadisten rekrutiert wurden, fanden sich in heimischen Justizanstalten kaum vorbestrafte Terrorverdächtige.

Relativ gut funktionieren deradikalisierende Maßnahmen bei marginalisierten Jugendlichen – etwa Anti-Gewalt-Trainings, politische Bildung und Interventionsgespräche durch Experten der NGO Derad. „Sie sind leicht beeinflussbar, haben Respekt vor Derad und sind keine sattelfesten Dschihadisten“, sagte Hofinger. Schwieriger sei es bei Predigern und tschetschenischen Nationalisten. „Da braucht es weitere Angebote.“ „Es ist eine Illusion zu glauben, jemand kommt als Dschihadist in Haft und als liberaler Demokrat heraus“, betonte Schmidinger. „Deradikalisierung braucht mehr Zeit als die Haftdauer.“

Mehr Personal mit Migrationshintergrund

„Die Studie zeigt, dass viele Maßnahmen richtig waren und dass einiges noch zu tun bleibt“, stellte Brandstetter fest. Das Justizministerium setzte 2015 eine Task Force „De-Radikalisierung“, die eine Reihe von Maßnahmen in den Bereichen Sicherheit, Betreuung wegen Terrordelikten inhaftierter Menschen sowie Fortbildung der Justizwache erarbeitete.

Die Arbeit von Derad soll ausgebaut werden, kündigte Brandstetter an, in Abhängigkeit allerdings von den Kapazitäten der auf Prävention und Deradikalisierung spezialisierten Organisation. Außerdem werde verstärkt nach Justizwachepersonal mit Migrationshintergrund gesucht.

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