Eislaufverein arbeitet NS-Zeit auf

Der Wiener Eislaufverein (WEV) feiert heuer sein 150-jähriges Bestehen. Eine Festschrift beleuchtet dazu erstmals auch die Rolle des Vereins während der Zeit des Nationalsozialismus. Beim 100. Geburtstag ließ man diese Jahre noch aus.

In der Festschrift zum 100-Jahr-Jubiläum aus 1967 werde die Zeit zwischen 1938 und 1945 gar nicht erwähnt, sagt Agnes Meisinger, Autorin der aktuellen Festschrift: „Es scheint darin so, als hätte es den Verein in den Jahren der NS-Herrschaft gar nicht gegeben.“

Die Recherche für diese Aufarbeitung gestaltete sich für Meisinger anfangs auch schwierig, denn in den Räumlichkeiten des Eislaufvereins am Heumarkt fand sie zunächst keine Unterlagen. „Wir sind dann in den Keller gegangen, und das war ein Riesenfund: Tausende alte Fotos und Tätigkeitsberichte, von denen niemand etwas gewusst hat", erzählt sie.

Jüdische Mitglieder ausgeschlossen

Die gefunden Dokumente zeigen: Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland veränderte sich auch der Wiener Eislaufverein grundlegend. Offiziell galt er zwar als selbstständiger Verein, unterlag jedoch der Aufsicht des „Gausportführers“ in Wien und musste damit die Vorschriften des „Gleichschaltungsprozesses“ einhalten.

Buchhinweis

Agnes Meisinger: 150 Jahre Eiszeit. Die große Geschichte des Wiener Eislauf-Vereins. Böhlau Verlag, 256 Seiten, 29,99 Euro.

Jüdische Mitglieder wurden aus dem Verein ausgeschlossen. Von den 5.515 Mitgliedern in der Saison 1936/37 blieben im Folgejahr nur knapp die Hälfte übrig. Unter den verbannten Mitgliedern waren auch die namhaften Familien Ephrussi, Gerngroß und Rothschild. Für den Verein bedeutete das Ausschließen der jüdischen Mitglieder auch große wirtschaftliche Probleme - ausgeglichen wurden diese erneut auf Kosten der jüdischen Bevölkerung: durch die nationalsozialistische „Vermögensverkehrsstelle“, die mit dem Vermögensentzug der jüdischen Bevölkerung beauftragt war.

Vorläufiges Ende 1944

Bis 1944 verringerte sich die Mitgliederzahl auch durch den anhaltenden Krieg stetig. Nachdem die Transformatorenanlage zur künstlichen Eiserzeugung im selben Jahr aus wirtschaftlichen Gründen von den Nationalsozialisten konfisziert wurde, konnte der Betrieb nur auf Natureis bei passendem Wetter stattfinden. Das hatte in der Saison 1944/45 ein Rekordtief der Mitglieder mit nur 1.015 eingetragenen Personen zur Folge. Im Dezember 1944 folgte das vorläufige Ende des Eisbetriebes bis zur Neugründung nach Kriegsende.

Interviews mit Holocaust-Überlebenden

Meisinger führte auch Interviews mit Zeitzeugen, etwa mit dem Holocaust-Überlebenden Harry Bibring, der 1939 als Kind nach London flüchten musste. In der Festschrift erzählt er, dass Eislaufen im WEV einst sein großes Hobby war, und er beschreibt, wie enttäuscht er von den Eisbahnen in London war.

„Bei dem Gespräch war Bibring sehr dankbar, dass ihn jemand zu dieser Geschichte befragt hat, und hat viel über seine Kindheit erzählt“, sagt Meisinger. „Das half mir dabei, mir ein Bild davon zu machen, wie es vor 1938 für ein jüdisches Kind war und unter welchen Repressionen sie in den folgenden Jahren leben mussten.“

Erster Eistag 1867

Neben der Aufarbeitung dieser historischen Lücke thematisierte Meisinger auch die Anfänge des WEV. Seit seinem ersten Eistag am 26. Dezember 1867 zählt der WEV zu den Kulturinstitutionen Wiens. Durch den Bau der Stadtbahn wurde die Eisbahn von ihrem ursprünglichen Platz in der Nähe des heutigen Bahnhofs Wien-Mitte verdrängt und ist nun seit 1901 am Heumarkt. Die 1912 eröffnete Freilufteisbahn galt seinerzeit mit 4.000 Quadratmetern als der weltweit größte Eislaufplatz.

Auf diesem wurden in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche erfolgreiche Eissportler hervorgebracht, darunter etwa Trixi Schuba, die 1972 Olympiasiegerin im Eiskunst-Einzellauf wurde, und Emmerich Danzer, Weltmeister im Eiskunstlauf von 1966 bis 1968.

Profisportler und Hobbyfahrer

Meisinger interviewte neben Profisportlern wie Schuba auch zahlreiche Mitglieder und Besucher des Eislaufvereins. „Es war nicht schwierig, Gesprächspartner zu finden“, sagt Meisinger. „Egal, wem ich von dem Projekt erzählt habe, jeder hatte eine persönliche Geschichte in Verbindung mit dem Eislaufverein.“ So haben einige die Nachmittage mit der Großmutter auf der Eisbahn verbracht, andere erinnern sich noch, dass der Urgroßvater Eistänzer war.

Meisinger selbst hat hingegen keinen persönlichen Bezug zur Eisbahn am Heumarkt. „Bevor ich mit diesem Projekt angefangen habe, war ich nie im Eislaufverein eislaufen. Ich war mit meinen Eltern als Kind immer auf der Alten Donau oder in der Lobau.“ Der Verein als Gesellschafts- und Vergnügungsverein und sein langjähriges Bestehen hätten sie als Sportbegeisterte dennoch fasziniert.

2019 Umzug auf den Schwarzenbergplatz

Auch die künftigen Veränderungen des Eislaufvereins werden angesprochen. Durch den Bau des Hochhauses am Heumarkt siedelt der Verein 2019 für zwei Saisonen auf den Schwarzenbergplatz – mehr dazu in Eislaufverein übersiedelt auf Schwarzenbergplatz.

Veranstaltungshinweis

Fest zum 150-jährigen Bestehen des Wiener Eislaufvereins: Montag, 23. Oktober, Lothringerstraße 22, 1030 Wien, ab 19.00 Uhr, Eisshow mit Tanz- und Sportvorführungen ab 19.30 Uhr, Eintritt frei

Zu dem umstrittenen Bauprojekt möchte der Verein jedoch bewusst nicht Stellung beziehen. „Es ist nicht unser Thema. Wir sind weder Städteplaner noch haben wir etwas mit dem Canalettoblick zu tun. Wir wollen nur, dass unser Platz erhalten bleibt und unsere Ansprüche berücksichtigt werden“, sagt Pressesprecher Peter Menasse.

Wichtiger sei ihm, dass der Verein als „Sportplatz für die Allgemeinheit“ im Vordergrund steht. „7.000 Kinder lernen bei uns Eishockeyspielen, jeden Tag kommen Hunderte Kinder aus Kindergärten und Volkschulen. Der Verein ist eine der wenigen Möglichkeiten für junge Leute, im Zentrum der Stadt Sport zu machen“, so Menasse. Aus dem früheren Sportverein sei so in den vergangenen Jahrzehnten ein „Vergnügungs- und Gesellschaftsverein“ geworden.

Melanie Gerges, wien.ORF.at

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