Über Menschen im Gemeindebau

Was haben ein Jazztrompeter, eine tschetschenische Fernsehjournalistin und ein Schriftsteller im Rollstuhl gemeinsam? Sie alle wohnen in einem Wiener Gemeindebau - und erzählen in einem Buch ihre Geschichte.

Der Wiener Gemeindebau ist die größte städtische Hausverwaltung Europas. Begonnen von den Sozialdemokraten nach dem Trennungsgesetz Wiens von Niederösterreich im Jahr 1922, gibt es heute 2.000 Gemeindebauten. Rund 500.000 Menschen wohnen hier, also mehr als in den Landeshauptstädten Graz, Klagenfurt und Salzburg zusammen leben. Die Autoren Uwe Mauch und Franz Zauner wuchsen auch in Gemeindebauten auf. Mit ihrem Buch „Im Gemeindebau“ zeigen sie die Bewohner hinter den Zahlen.

Portraits Gemeindebaubewohner

Mario Lang

Seit 22 Jahren lebt Koglmann in einem Gemeindebau

Jazzmusiker in Margareten

Dafür besuchen sie 23 Mieter in deren Zuhause und erzählen ihre Geschichten. Wie etwa jene von Franz Koglmann. Seit 1995 lebt er in einer Gemeindewohnung in Margareten. Bereits im Kindesalter lernte Koglmann, Akkordeon zu spielen. Nach einem Konzert von Louis Armstrong beschloss er als Jugendlicher Jazzmusiker zu werden. Heute zählt er zu den bedeutenden österreichischen Musikern in diesem Genre, gründete 1982 mit seiner Frau Ingrid Karl die Wiener Musik Galerie, ein Verein, der regelmäßig Konzerte, Workshops und Festivals im Jazzbereich organisiert.

Veranstaltungshinweis

„Im Gemeindebau“-Lesung der Autoren mit Interviews einiger Bewohner, unter anderem Erwin Riess, heute ab 18.30 Uhr in der Fachbuchhandlung des ÖGB, Rathausstraße 21, 1010 Wien

Zum Zeitpunkt des Besuchs arbeitete er an einem neuen Stück für das Radiokulturhaus. Nachdem es 1997 mit der Uraufführung seines Werks „Ein heller, lichter, schöner Tag“ eröffnet wurde, sollte auch beim 20-jährigen Jubiläum eine Koglmann-Uraufführung gezeigt werden. Gemeinsam mit David Schalko entstand so „Liebe Sophie“. Koglmann studierte in New York und lebte in Paris. Seine Wohnung im Gemeindebau würde er nicht für ein Leben im Ausland eintauschen. „Ich möchte nirgendwo anders mehr wohnen“, sagt er den Autoren.

Portraits Gemeindebaubewohner

Mario Lang

2004 flüchtete Asujeva mit ihrer Familie nach Österreich

Fernsehjournalistin aus Tschetschenien

Lajla Asujeva wohnt erst seit drei Jahren in einer Gemeindewohnung in der Donaustadt. Aufgewachsen ist die heute 49-Jährige in Tschetschenien. Dort war sie in den 90er-Jahren eine bekannte Fernsehjournalistin, führte Interviews mit bekannten Schauspielern und Künstlern, wie etwa dem Tänzer Mahmud Esambajev.

An die Zeit als bekannte Journalistin erinnert sie sich gerne zurück. Über die Krisen und Kriege in Tschetschenien spricht sie hingegen nur ungern. 2004 flüchtet Asujeva aufgrund der kritischen Situation in ihrer Heimat mit ihrer Familie nach Österreich. Das Leben in einem neuen Land, der verlorene Beruf und das zurückgelassene Umfeld belasten sie stark und führen zu einer Depression. Heute möchte Asujeva wieder in ihren alten Beruf zurück. Dafür belegt sie einen Journalismuskurs und hofft auf einen Neustart ihrer Karriere.

Portraits Gemeindebaubewohner

Mario Lang

Riess lebt, ebenso wie seine Figur Herr Groll, in Floridsdorf

Keine Barrierefreiheit

Für „Im Gemeindebau“ besuchten die Autoren auch den Schriftsteller Erwin Riess in seiner Wohnung in Floridsdorf. Seit 1994 verfasst er Theaterstücke und Kriminalromane. Eines seiner bekanntesten Werke ist die „Herr Groll“- Krimireihe, die mittlerweile bereits sechs Teile umfasst. Darin erzählt Riess die Geschichte des Detektiven Groll, einem Rollstuhlfahrer, der in Floridsdorf lebt und Mordfälle löst. Mit den Romanen rückt er Menschen mit Behinderungen in den Mittelpunkt von Erzählungen, eine Seltenheit in der Kriminalliteratur.

Riess ist seit einem Rückentumor 1983 selbst Rollstuhlfahrer und politischer Aktivist. Von 1984 bis 1994 engagierte er sich als wissenschaftlicher Referent für behindertengerechtes Bauen im österreichischen Wirtschaftsministerium, weist in seinen Romanen und seiner Arbeit als Behindertenaktivist immer wieder auf fehlende Barrierefreiheit hin.

So auch in seinem Gemeindebau. Im Badezimmer gibt es keine barrierefreie Dusche, Riess besitzt nur eine Badewanne. Seinen Freund, den Autor Michael Scharang, kann er nicht besuchen, obwohl sie in derselben Anlage wohnen. Denn Scharang wohnt im ersten Halbstock, eine Rampe oder einen Lift dorthin gibt es nicht. Riess findet jedoch, ähnlich wie sein Alter Ego Herr Groll, auch in diesem Fall eine Lösung: Wenn sich die beiden verabreden, treffen sie sich zum Picknicken auf den Stufen.

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